Kirchengeschichte I

    • Offizieller Beitrag

    Die Hintergründe der Entstehung des Christentums


    Die politischen, religiösen und gesellschaftlichen Hintergründe für die Entstehung des Christentums.

    Lernziele

    1. Die Kirchengeschichte hat ihre Vorläufer in der alttestamentlichen Heilsgeschichte und ihre Grundlage in dem, was Jesus Christus getan hat. Sie erkennen die Kirchengeschichte als Teil der Heilsgeschichte.

    2. Sie erkennen, dass die gesellschaftlichen und politischen Hintergründe zur Zeit der Entstehung des Christentums vieles von dem transparent machen, was beim bloßen Lesen des Neuen Testaments unklar bleibt.

    3. Ihnen wird die Lehre und das Wirken von Jesus Christus in seiner historischen Einzigartigkeit bewusst.

    Beginn der Kirchengeschichte

    Politische Hintergründe

    Schauplatz der frühen Kirchengeschichte ist die östliche Hälfte des römischen Reiches, ein Imperium unterschiedlicher Rassen und Kulturen. Die einheitliche politische, militärische und wirtschaftliche Organisation schwächte jedoch die Unterschiede ab und führte zu einer Vermischung. Hinzu kam die Vereinheitlichung der Sprache durch das Koine-Griechisch. Das riesige Reich war eingeteilt in Provinzen, die entweder direkt oder durch Konsuln vom Kaiser in Rom verwaltet wurden (s. Abbildung 6).

    Die Gegend, in der die Kirchengeschichte ihren Anfang nahm, würden wir heute als multikulturell bezeichnen. Eine Reihe von kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklungen, die in vorchristlicher Zeit stattfanden, waren Wegbereiter für die Verkündigung der Frohbotschaft und sollen deshalb kurz genannt werden: Innerhalb der griechischen Welt hatte nach der Rückkehr der Juden aus der babylonischen Gefangenschaft ein Prozess der Neuorientierung stattgefunden. Alle bisherigen Überlieferungen wurden hinterfragt und gesellschaftliche Strukturen kritisch beleuchtet. So wandten sich griechische Philosophen auch gegen den griechischen Götterkult mit seinen allzu menschlichen Auswüchsen. Dieser Prozess der Neuorientierung führte im Bereich der Religion zur Offenheit für den Monotheismus oder zur grundsätzlichen Frage, ob es Götter überhaupt gibt. An diese Entwicklung konnte Paulus in seiner Areopag-Rede – wie es die Apostelgeschichte festhält – anknüpfen.

    Die griechische Kultur, besonders die Denkarbeit der Philosophen, prägte den ganzen Mittelmeerraum. Die Zeit der Blüte des griechischen Weltreichs unter Alexander dem Großen (356-323 v. Chr.) war gefolgt vom Zerfall des Reiches. Das zerfallende, politische Gebilde wurde dann aber nicht mehr von den Griechen, sondern von den Römern zusammengehalten. Als Jesus Christus geboren wurde, war seine Heimat politisch gesehen römisch, kulturell gesehen griechisch und religiös gesehen jüdisch. Neben dem Hebräischen stand das Griechische als Sprache zur Verfügung, das von einer Vielzahl von Menschen verstanden wurde.

    Damit war sowohl philosophisch der Boden vorbereitet für die Ausübung einer Religion als auch politisch ein rechtsstaatliches System dafür vorhanden.

    Religiöse und kulturelle Hintergründe

    Religion

    Die religiöse Lage bot ein buntes Bild. Zahlreiche Kulte existierten nebeneinander. Es gab nur wenig, was von der Regierung verboten wurde. Die römischen Bürger und alle übrigen Völker des Reiches erkannten gegenseitig ihre Götter an. Man lebte pluralistisch und tolerant. Kennzeichen römischer Kultur wurde der Kaiserkult, der unterschiedlich gefeiert wurde. Man sah sich jedenfalls abhängig vom Kaiser und erbat im Kaiserkult den Schutz der Götter für diesen wichtigen Mann.

    Nach ihrem Tod wurden die Kaiser in die Reihen der Götter aufgenommen. Augustus nannte sich erstmals „Sohn Gottes“, wahrscheinlich primär aus politischen Gründen. In der Folge wurde er als „Retter“ (Sotär) des Menschengeschlechts und als Friedensstifter verehrt. Im Kaiserkult wurden aber nicht die Kaiser als Personen, sondern ihr Genius verehrt. Die nach ihrem Tod vergöttlichten Kaiser nahmen eine Mittelstellung zwischen Göttern und Menschen ein. Geopfert wurde also nicht dem Kaiser, sondern zugunsten des Kaisers. Das jährliche Opfer war Staatspflicht. Dabei war es egal, bei welchem Gott das Opfer gebracht wurde. Für Christen ergab sich daraus nicht das Problem der Verehrung des Kaisers, die Schwierigkeit bestand in ihrer Ablehnung jeder Form von Opfern.

    Die Juden lehnten den Staatskult ab und verweigerten konsequent die bildliche Darstellung ihres Gottes. Diese Exklusivität legte man ihnen als Mangel an Gemeinsinn aus und bezeichnete sie deshalb als Bürger zweiter Klasse (Christen waren Bürger dritter Klasse!). Immerhin kannten Juden noch den Opferdienst (der wurde zwar seit der Zerstörung des Tempels nicht mehr praktiziert, bestand aber als theoretische und erstrebte Möglichkeit weiter), galten deshalb gegenüber Christen als das kleinere Übel und waren offiziell als Religion anerkannt. Innerhalb ihrer Provinz (Judäa) wurde den Juden weitreichende Selbstständigkeit zugestanden. Es gab außerdem über das römische Reich verteilt zahlreiche jüdische Gemeinden und das Judentum wirkte durch seinen Monotheismus und seine Ethik attraktiv. Die für die Ausbreitung des Christentums vorbereitende Arbeit des Judentums darf nicht unterschätzt werden. (vgl. A. Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten, Leipzig 1906, Bd. 1, S. 14)

    Volksglaube

    Bei aller religiösen Vielfalt bestand Einigkeit im Glauben, dass Glück und Unglück, Freude und Leid Gaben der Götter sind. Deshalb gewann der Kult der Zeus-Tochter Tyche an Einfluss. Tyche war Göttin des Schicksals und Spenderin von Glück und/oder Unglück. Gleichzeitig war der Mensch lernfähig und verantwortlich. Deshalb konnte er gewissen Einfluss auf sein Schicksal nehmen. Grundsätzlich herrschte Furcht vor den Göttern, sie galten als Mächte, auf die man wenig Einfluss hatte. Wer korrekt seine Opfer brachte, brauchte allerdings nur wenig Angst zu haben. Die stoischen Philosophen (philosophische Denkrichtung ab 300 v. Chr., die den Menschen als Teil des Universums verstand und ihr Ideal darin sah, in Übereinstimmung mit den Gesetzen des Universum zu leben und dabei Ruhe und Gelassenheit zu wahren) wandten sich nicht nur gegen die Angst vor Göttern, sondern generell gegen die Angst. Die Mehrheit der Bevölkerung war aber nicht Anhänger der Stoiker. Man glaubte an ein Weiterleben nach dem Tod und machte sich Gedanken über Vergeltung im Jenseits. In wichtigen Lebensfragen wandte man sich an die Götter und erhielt etwa im Traum oder im Orakel eine Antwort. Verfehlungen konnte man durch Opfer sühnen.

    Statistik

    Man schätzt die Bevölkerung des Imperium Romanum zur Zeit der Urchristen auf 50 – 80 Mio., wobei nur 7 Mio. römische Bürger waren. Rom hatte 600.000 – 1 Mio. Einwohner, andere Großstädte 50.000 – 100.000. Die meisten Orte hatten nur 2.000 – 3.000 Einwohner. In Rom lebten etwa 15.000 – 40.000 Juden (2-6 Prozent), in Ägypten 150.000 – 200.000 (3 Prozent), in Damaskus etwa 18.000. Die Zahl der in der Zerstreuung lebenden Juden wird auf ca. 5 Mio. geschätzt.

    Die Lebenserwartung war gering, die Kindersterblichkeit hoch. Wohl 25% der Neugeborenen überlebten das erste Lebensjahr nicht. Nur 43 Prozent aller Menschen erreichten das 15. Lebensjahr und nur 7,5 Prozent wurden 65 Jahre alt. Wer 15 Jahre alt war, konnte damit rechnen, ca. 46 Jahre zu werden. Ein 45-Jähriger konnte damit rechnen, 60 Jahre alt zu werden. Ein 60-Jähriger durfte statistisch mit 69 Jahren rechnen. Die durchschnittliche Kinderzahl pro Familie wird auf 5,3-8 geschätzt.

    Römische Gesellschaft

    Die römische Gesellschaft war bestimmt vom Prinzip der Ungleichheit. Es gab die herrschende Schicht, die Grundbesitz besaß. Zu dieser Gruppe zählten Kaiser, Senatoren (600 – 5000), Ritter (bis 20.000) und die städtische Aristokratie (100.000 – 150.000), insgesamt etwa 1 Prozent. Die Oberschicht genoss Privilegien und wurde mit besonderem Respekt behandelt. Gegenüber den Untertanen pflegte die Oberschicht idealerweise patriarchale Verantwortung, man sorgte für die Bürger. Im Römerstaat galt Opferbereitschaft für die Gesellschaft als große Tugend. Das Leben in der Unterschicht verglichen Geschichtsschreiber mit dem eines Hasen, der sich Haken schlagend rettet oder wegduckt, wenn ein Stärkerer kommt.

    Römische Vollbürger hatten im Blick auf die Versorgung mit Land, im Steuerrecht, im Privatrecht und im Strafrecht Sonderrechte. Ein römischer Bürger konnte nur durch das Gericht des Kaisers in Rom zum Tod verurteilt werden. Für die Verleihung des Bürgerrechts war die Kenntnis der lateinischen Sprache Voraussetzung. Aufsteigen konnten auch Fremde, indem sie besondere Dienste taten. Unterhalb der rats- und amtsfähigen Bürger rangierten die Nicht-Bürger, wobei auch hier unterschiedlicher Status herrschte. Man unterschied die Freigeborenen (Nicht-Sklaven ohne Stimmrecht) von den Freigelassenen. Die Freigeborenen stellten den größeren Teil der Bauern, Handwerker, Gewerbetreibenden und Händler. Unter den Freigelassenen standen Sklaven als Sachgüter zum Verkauf. Auch innerhalb der Gruppe der Sklaven gab es große Unterschiede. Lehrer etwa lebten recht gut.

    Das Leben spielte sich auf der Straße ab. Hier wurde gekauft, verkauft, gegessen, getratscht, gespielt, Wasser geholt und die Religion ausgeübt. Die Häuser selbst waren vielfach unbequem und dunkel. Tausende von Statuen säumten die Straßen: Götter, Politiker, Dichter, Redner, Schauspieler und Athleten wurden abgebildet, verehrt, gewaschen, gesalbt und feierlich durch die Stadt getragen.

    Im Blick auf die Götterverehrung konnte jede Stadt eigene Wege gehen. Man achtete aber darauf, den unterschiedlichen Göttern gleiche Ehre zukommen zu lassen.

    Betrachtet man die technischen Errungenschaften der Römer, dann fällt auf, dass sie hervorragende Fachleute für den Alltagsbedarf waren, die mit bewundernswerter Präzision und Sorgfalt ein Riesenreich verwalteten. Straßenbau und Wasserleitungen (s. Abbildung 7), Häuserbau (Abb. 8), Nachrichtensysteme, Hygiene, Medizin, alles war für die damalige Zeit beeindruckend. Besonders gut verstanden sich die Römer auch auf die Kriegsführung. Die Disziplin der Soldaten war weltbekannt und ihre Schlagkraft gefürchtet. Wenn römische Soldaten eine Stadt belagerten, gab es kaum ein Entrinnen.

    Jesus Christus

    Seine Heimat

    Jesus und seine Jünger kamen aus Galiläa. Damals lebten etwa 2,5 Mio. Menschen in der Provinz Judäa (ca. 800.000 Juden, ca. 500.000 Samaritaner, Griechen und Nabatäer). Galiläa wurde zur Zeit von Jesus durch Herodes Antipas regiert, dem zweiten Sohn von Herodes dem Großen. Im Jahr 40 n. Chr. wurde Galiläa an Herodes Agrippa I. übertragen. Nach vier Jahren seiner Herrschaft kam Galiläa unter direkte römische Verwaltung.

    Galiläa hatte fruchtbare Böden und war wohl dichter besiedelt als der Rest des Landes. Man lebte von Olivenölproduktion, Getreide-, Wein-, Feigen-, Gemüse- und Pilzanbau, Schafzucht, Ziegen, Wollproduktion, Dattelpalmen und der Geflügelzucht. Viele Menschen arbeiteten im Handel, Handwerk und Tonwarenbereich. Im Großraum Jerusalem blühte zudem der Tourismus.

    Steuern waren auch damals schon zu bezahlen: die Tempelsteuer, der Zehnte, Kopfsteuer, Gewerbe- und Vermögenssteuer, Tribut, Salzsteuer, Verkaufssteuer, Zoll – insgesamt eine schwere Last. Es gab Reiche und Arme, Offiziere und Hausierer, Sklaven und Prostituierte, Hirten und Banditen. Die herodianische Herrscherfamilie war verhasst.

    Der Alltag war gezeichnet durch politische Demütigungen für die Juden, ebenso von wirtschaftlicher Not. Man hielt Feste, aß (als Jude) keine unreinen Tiere, hoffte auf die Wiederherstellung Israels und war bereit, für seinen Glauben Unannehmlichkeiten zu erdulden. Die religiöse Gruppe der Pharisäer strebte nach Gerechtigkeit, die Sadduzäer betonten die Eigenverantwortung. In den Städten konnten 2-15 Prozent der Bevölkerung lesen und schreiben, auf dem Land höchstens einer von hundert. Nachrichten gingen trotzdem hin und her. Die mündliche Überlieferung spielte dabei eine wichtige Rolle.

    Leben und Auftrag

    Die Menschwerdung des Gottessohns bildet den Angelpunkt der Weltgeschichte. Dies wurde aber erst im Nachhinein klar. Für die Zeit seines Auftretens galt für Jesus (Johannes 1,10f.): „Er kam in sein Eigentum und die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ Kindheit und Jugend sind mit Ausnahme der spektakulären Ereignisse um die Geburt äußerlich unscheinbar und von der Öffentlichkeit unbeachtet geblieben. Trotzdem lag bereits über seiner Geburt ein Geheimnis: Während das Leben eines gewöhnlichen Menschen mit der Zeugung und Geburt beginnt, trat Jesus zwar als Mensch erst mit seiner Empfängnis und Geburt ins irdische Dasein, existiert hat er nach biblischer Überzeugung jedoch als Person schon von Ewigkeit her.

    Seine irdische Geburt war deshalb kein absoluter Anfang, sondern wie Johannes in seinem Evangelium formuliert, das Kommen des ewigen Wortes Gottes in diese Welt („Das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns“ (Johannes 1, 14). Nachdem Jesus durch Johannes am Jordan getauft worden war, zog er sich zunächst in die Wüste zurück, um danach am Jordan seine ersten Jünger zu berufen und sie zu Menschenfischern auszubilden.

    Mit diesen zwölf Jüngern ging Jesus hinauf nach Galiläa, wo er auch das erste Wunder (Wasser wurde zu Wein) bewirkte (Johannes 2, 1-12). Damit wurde von Anfang an deutlich, dass er nicht nur ein (Buß-)Prediger war wie Johannes, sondern der, der Leben und Freude bringt. Die darauf folgende Tempelreinigung ließ aufhorchen! (Johannes 2, 13-25) Zwar war klar, dass der Messias das Recht hatte, den Tempel zu reinigen. Aber wenn Jesus von Nazareth der Messias war, musste er sich legitimieren. Seine Legitimation bestand im Hinweis: „Brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen werde ich ihn aufrichten.“ Dies konnte natürlich nicht ohne weiteres verstanden werden. Die Art und Weise des Auftretens von Jesus stellte die Vorstellungen und Erwartungen der Juden in vieler Hinsicht in Frage. Zunehmend offenbarte er sich in seinen Worten und in seinem Verhalten anders, als die Mehrheit es erwartet hatte.

    Jesus selbst wusste sich von Gott gesandt, die verlorenen Schafe Israels zu sammeln. Der Anspruch, mit dem er auftrat, ging weit über alles hinaus, was das alte Israel vom verheißenen Messias erhoffte. Er zog durch Dörfer und Städte und verkündete die Botschaft vom anbrechenden Reich Gottes. Er rief zur Umkehr und zum Glauben, wobei er sich als der von Gott Gesalbte sah, der durch Lehre, Heilung und Befreiung die befreiende Macht des Reiches Gottes sichtbar machte.

    Dieses Reich hat einen gegenwärtigen und einen zukünftigen Aspekt. Jesus kam, um den Vater zu offenbaren, er kam um Kranke zu heilen, Sünde zu vergeben, um zu retten und Leben wieder herzustellen. Er ist Arzt, Hirte und Erlöser. Das Evangelium ist die Nachricht von der sich verwirklichenden Gottesherrschaft. Jesus rief konkret zur Buße, Abkehr vom Alten, hin zum Neuen (griech.: „metanoia“ und „pisteuein“). Wer umkehrt, ob Jude oder Heide, gehört zum wahren Volk Gottes, er wird ein Kind Abrahams. Glaube bedeutete: Folge Jesus nach, vertraue Gottes gnädiger Herrschaft und vertraue, dass sie durch Jesus zu uns kommt. Gib deine Möglichkeiten preis und lebe im Horizont der angebrochenen Herrschaft Gottes.

    Die Zeit der Wunder Jesu in Galiläa brachte Bewegung ins Volk. Die religiösen Führer konnten ihn nicht mehr übersehen. Einerseits bestätigte Jesus mehr und mehr, dass er der Messias war und legte in der Bergpredigt die Grundsätze seines Reiches dar. Andererseits wuchs der Widerstand der religiösen Führerschaft. Wir müssen bedenken: In der jüdischen Messiaserwartung konnte der Messias wohl ein außergewöhnlicher Mensch, aber niemals Gott sein. Seit Jahrhunderten bekannte Israel: „Höre, Israel, der Herr unser Gott, der Herr ist einer.“ Wie sollte da der Sohn mit dem Vater in diese Einheit gesetzt werden und schließlich noch durch eine dritte Person „komplett“ werden? Um genau dieses Anspruchs willen (nicht in erster Linie wegen des messianischen Anspruchs) wurde Jesus den Juden ein Ärgernis. Der Durchbruch zur Erkenntnis, dass Jesus der Messias und Gottessohn war, geschah für die Jünger (und wie der Schluss des Matthäusevangeliums zeigt, nicht einmal für alle) endgültig erst durch die Auferstehung. Sie bekannten ihn als Herrn und Gott und beteten ihn an.)

    Die außergewöhnlichen Taten von Jesus konnten und wollten auch die Gegner von Jesus nicht leugnen, sie legten sich aber darauf fest, dass Jesus mit dem Teufel zusammenarbeite. Die Auseinandersetzungen spitzten sich zu und führten zu seiner Gefangennahme, Verurteilung und Hinrichtung.

    Das Zentrum seiner Verkündigung hatte in der Lehre bestanden, er selbst sei das Sühnopfer für die ganze Welt. Das Leiden und Sterben von Jesus bildete damit den Mittelpunkt seines Wirkens auf der Erde. „Musste nicht der Messias dieses leiden und so in seine Herrlichkeit eingehen?“ fragten die Jünger von Emmaus (Lukas 24, 16). Theologisch gesprochen: Gottes Liebe ging in Christus den Weg des Leidens, um so den Weg zur Herrlichkeit zu öffnen. Der Sühnetod Jesu gilt nicht nur dem jüdischen Volk, sondern der ganzen Welt. Deshalb wurde nach der Auferstehung die gesamte Menschheit zum Adressaten der Evangeliumsverkündigung.

    Die Regierung glaubte, das Thema „Jesus“ mit seiner Hinrichtung erledigt zu haben. Aber spätere Kritiker des christlichen Glaubens bestätigten (Tacitus, Ann. 15,44,2-5): „Der für den Augenblick unterdrückte, verderbliche Aberglaube (der Glaube an den Messias Jesus, BT) brach wieder auf und verbreitete sich sogar in der Hauptstadt (Rom, BT), wo alles Scheußliche und Schändliche von überallher zusammenströmt und Anklang findet.“ Hintergrund dieser Aussage war nichts anderes als die Auferstehung.

    Die wissenschaftliche Forschung hat beim Osterereignis immer wieder die Frage nach der Geschichtlichkeit gestellt. Handelt es sich bei den Berichten um glaubwürdige Darstellungen? Manche sind zum Schluss gekommen, dass die Bibel nur vom Osterglauben der Jünger berichten kann. Nach den Regeln der historischen Forschung gibt es jedoch keinen zwingenden Grund, die Geschichtlichkeit des leeren Grabes abzulehnen. Die Berichte sind aus unterschiedlicher Perspektive geschrieben und bieten durchaus Schwierigkeiten beim Zusammensetzen der Puzzlestücke. Aber gerade diese Spannung macht die Berichte glaubwürdig. Nur ein Ereignis von der Tragweite der Auferstehung kann den weiteren Verlauf der Geschichte der Kirche erklären. Die leibliche Auferstehung des Herrn ist Grundlage der Kirchengeschichte. Seine Herrschaft ist nicht Vergangenheit, sondern ständige Gegenwart. Jesus ist Herr der Geschichte und das lebendige Haupt seiner Gemeinde.

    Mit Pfingsten und dem Missionsauftrag beginnt die Zeit der Gemeinde – und damit die Zeit der Kirchengeschichte.

    Vertiefung

    1. Wie lässt sich auf dem Hintergrund dieses Kapitels die Aussage von der „erfüllten Zeit“ für das Kommen von Jesus (Galater 4,4) erklären?

    2. Was unterscheidet den christlichen Glauben von anderen Religionen?

    3. Welche Rolle spielt der Kreuzestod von Jesus in der Verkündigung des Evangeliums?

    4. Warum steht die Person von Jesus Christus im Mittelpunkt der Kirchengeschichte?

    5. Welche wichtigen neuen Erkenntnisse haben Sie gewonnen? Notieren Sie drei wichtige Details

    F Wo gibt es Parallelen in der römischen Gesellschaft zum modernen

    Westeuropa? (F)

    K Welche Umstände begünstigten die Ausbreitung des Christentums?

    Welche waren eher hinderlich? (K)

    • Offizieller Beitrag

    Die erste christliche Gemeinde

    Die erste christliche Gemeinde – ihre Entstehung, Ausbreitung und Verfolgung.

    Lernziele

    1. Sie können die Anfänge der christlichen Gemeinde an Pfingsten nachvollziehen.

    2. Sie werden die Kennzeichen, die Botschaft und die Organisation der ersten christlichen Gemeinden erkennen.

    3. Sie erarbeiten sich die Ausbreitung des Christentums in den ersten Jahrzehnten .

    4. Sie werden die Anstrengungen des römischen Staats verstehen, das Christentum zu kontrollieren.

    Die erste Gemeinde in Jerusalem

    Pfingsten

    Der Zeitpunkt von Pfingsten um 33 n. Chr. (s. Abbildung 12) war nicht nur aus strategischer Sicht wegen der Anwesenheit so vieler unterschiedlicher Menschen in Jerusalem besonders geeignet, sondern muss im größeren Zusammenhang der Geschichte gesehen werden. Mehrere Gründe begünstigten die Ausbreitung des Glaubens:

    1. kulturelle, politische und sprachliche Einheit im Römischen Reich

    2. gut ausgebaute Handelswege

    3. die religiöse Toleranz der Politik und Gesellschaft

    4. das Eindringen syrischer und persischer Religionen, sowie Offenheit für Geheimkulte und Mystik

    5. die Demokratisierung der Gesellschaft und das weit verbreitete römische Vereinswesen als organisatorischer Türöffner für eine neue Kirche

    6. die Verbreitung des Judentums (vgl. Adolf Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten, Leipzig 1906, Bd. 1, S. 17-20)

    Dem Auftrag von Jesus gehorchend blieben die Jünger nach den Auferstehungsereignissen in Jerusalem und warteten auf das Kommen des Heiligen Geistes. Wie die Apostelgeschichte berichtet, erfolgte am Pfingsttag die Sendung des Heiligen Geistes. Dieses Geschehen blieb in der Stadt nicht unbemerkt. Den zusammenströmenden Volksmassen verkündigte Petrus die Nachricht von Jesus. Nach seinen Worten war mit dem Pfingstereignis die zweite große göttliche Offenbarung (nach der Gabe des Gesetzes) gekommen. Es erfüllte sich die Prophetie des Joel (Joel 3,1ff.). Die Heilszeit war angebrochen. Was nun mit den Christen und der Gemeinde geschah, stand ganz unter dem Zeichen dieser Tatsachen. Im Anschluss an die Pfingstpredigt von Petrus ließen sich 3.000 Menschen taufen. Sie waren zum Teil über große Distanz zum Fest nach Jerusalem gereist und wurden nun die ersten Missionare. Die Karte (Pfingsten – idealer Zeitpunkt) gibt eine Übersicht der Herkunftsorte. Jerusalem war die erste Gemeinde und Missionsstation der christlichen Gemeinde.

    „Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden aus Galiläa? Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache? Parther und Meder und Elamiter und die wir wohnen in Mesopotamien und Judäa, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien, Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Einwanderer aus Rom, Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie in unseren Sprachen von den großen Taten Gottes reden“ (Apostelgeschichte 2,7-11).

    Der Beginn der christlichen Gemeinde (und damit der Kirchengeschichte) wurde also ausgelöst durch ein Wunder: Die Ausgießung des Heiligen Geistes an Pfingsten. Die Apostel verstanden Pfingsten als die Erfüllung der Prophetie aus Joel 3 und damit als Zeichen der Ankunft des Gottesreichs, in dem alle Sprachbarrieren überwunden werden. Die Gemeinde lebte als „endzeitliche Heilsgemeinschaft, in der die Völkerverständigung schon Realität ist und auf den verheißenen Völkerfrieden (Jesaja 2,2ff; Micha 4,1-5) vorausweist“. (s.a. Artikel über die Jerusalemer Urgemeinde in Wikipedia)

    Die ersten Christen waren Judenchristen, die nach ihrer Bekehrung und Erfüllung mit dem Heiligen Geist weiterhin den Tempel besuchten und die Vorschriften des Gesetzes einhielten. Sie trafen sich in Synagogen und Privathäusern und bildeten eine Gemeinschaft, die das ganze Leben umfasste. Zur Gemeinde gehörten Männer und Frauen, die schon in Galiläa zu den Nachfolgern von Jesus gehörten. Dazu kamen Juden, griechisch-sprachige Proseylten und später „gottesfürchtige Heiden“ (Apostelgeschichte 11,20). Ob die zwölf Apostel gemeinsam als Leitung der Gemeinde in Jerusalem auftraten, muss offen bleiben. Paulus erwähnt in Galater 2,9 nur noch Jakobus, Petrus und Johannes. Nach dem Bericht in 1. Korinter 15 erlebte Jakobus, der leibliche Bruder von Jesus, eine eigene Christuserscheinung. So wurde er zum Apostel und Leiter der Gemeinde in Jerusalem.

    Die Gemeinde in Jerusalem fühlte sich dem alttestamentlichen Gesetz verpflichtet. Nach 1 Korinther 12 gehörte die Ausübung von besonderen Geistesgaben zur frühchristlichen Gemeinde. Über die Mitgliederzahl gibt Apostelgeschichte 2,41 eine erste Auskunft. Demzufolge waren es mehr als 3.000 Christen.

    Das Leben in der ersten christlichen Gemeinde

    Die Gemeinschaft tätiger Liebe war Markenzeichen jener ersten Gemeinde. Lukas nennt zwei Treffpunkte der Jesusbekenner in Jerusalem: erstens das Obergemach und zweitens das Haus der Maria, der Mutter des Johannes Markus. Wie das Leben der Gemeinde im Alltag aussah, beschreiben folgende Passagen der Apostelgeschichte sehr anschaulich: (Übersetzung – Neue Genfer Übersetzung):

    „Sie alle beteten anhaltend und einmütig miteinander. Auch eine Gruppe von Frauen war dabei, unter ihnen Maria, die Mutter von Jesus; Jesu Brüder gehörten ebenfalls dazu.“ Apostelgeschichte 1,14

    „Was das Leben der Christen prägte, waren die Lehre, in der die Apostel sie unterwiesen, ihr Zusammenhalt in gegenseitiger Liebe und Hilfsbereitschaft, das Mahl des Herrn und das Gebet. “ Apostelgeschichte 2,42

    „Nachdem sie in dieser Weise gebetet hatten, bebte die Erde an dem Ort, an dem sie versammelt waren. Sie wurden alle mit dem Heiligen Geist erfüllt und verkündeten die Botschaft Gottes weiterhin frei und unerschrocken. Die ganze Schar derer, die ‚an Jesus‘ glaubten, hielt fest zusammen; alle waren ein Herz und eine Seele. Nicht ein Einziger betrachtete irgendetwas von dem, was ihm gehörte, als sein persönliches Eigentum; vielmehr teilten sie alles miteinander, was sie besaßen. Vollmächtig und kraftvoll bezeugten die Apostel, dass Jesus der auferstandene Herr ist. Und die ganze Gemeinde erlebte Gottes Gnade in reichem Maß. Es gab unter ihnen auch niemand, der Not leiden musste. Denn ‚wenn die Bedürfnisse es erforderten,‘ verkauften diejenigen, die ein Grundstück oder ein Haus besaßen, ihren Besitz und stellten den Erlös ‚der Gemeinde‘ zur Verfügung, indem sie das Geld vor den Aposteln niederlegten. Davon wurde dann jedem das zugeteilt, was er nötig hatte.“ Apostelgeschichte g 4, 31-35

    „Durch die Apostel geschahen unter dem Volk zahlreiche Wunder und viele außergewöhnliche Dinge. Alle, ‚die an Jesus glaubten,‘ trafen sich regelmäßig und einmütig in der Salomohalle. Von denen jedoch, die nicht bereit waren, an ihn zu glauben, wagte keiner, in engeren Kontakt mit ihnen zu treten. Aber jedermann sprach mit Hochachtung von ihnen, und die Gemeinde wuchs ständig; Scharen von Männern und Frauen kamen zum Glauben an den Herrn. Und überall, wo Petrus hinkam, trug man die Kranken auf die Straße und legte sie dort auf Betten und Matten in der Hoffnung, dass wenigstens sein Schatten auf den einen oder anderen von ihnen falle.“ Apostelgeschichte 5,12-15

    „Die Botschaft Gottes breitete sich immer weiter aus, und die Zahl der Jünger in Jerusalem stieg sprunghaft an. Auch zahlreiche Priester nahmen das Evangelium an und glaubten an Jesus.“ Apostelgeschichte 6,7

    „Die Gemeinde in ganz Judäa, Galiläa und Samarien erlebte nun eine Zeit der Ruhe und des Friedens. Die Christen wurden im Glauben gefestigt und lebten in Ehrfurcht vor dem Herrn. Und weil der Heilige Geist ihnen zur Seite stand, wuchs die Gemeinde ständig weiter.“ Apostelgeschichte 9,31

    In den Predigten von Petrus ist die missionarische Botschaft zusammengefasst. Aufnahmebedingung in die Gemeinde war der Glaube, der in der Taufe öffentlich wurde und dessen bleibender Ausdruck das Befolgen der Lehre des Auferstandenen war. Das Teilen von Besitz scheint nach Apostelgeschichte 5,4 und 12,12 freiwillig gewesen zu sein. Gebet, Abendmahl (mit vorausgehendem gemeinsamem Essen), Anbetung, Bekenntnis, Diakonie, Evangelisation und Bereitschaft, das eigene Leben hinzugeben, gehörten zu den Grundelementen des frühchristlichen Gemeindelebens.

    Markenzeichen „Lehre“

    Die Lehre der Apostel, also die Botschaft von der notwendigen Umkehr und von der Annahme des Heils in Christus, bildete das Fundament der Arbeit. Angeboten wurde das Heil. Heil bedeutete Vergebung der Sünden, Empfang des Heiligen Geistes, Rettung aus der Gemeinschaft derer, die gegen Gott rebellieren, Eingliederung in die Gemeinde und Befreiung von Krankheit und dämonischer Besessenheit. Jesus wurde als der Kyrios, der Herr der Welt erlebt. Zur Lehre der Apostel gehörte auch die Einführung in die Jesusnachfolge.

    Markenzeichen „Gemeinschaft“

    Gemeinschaft ist das geschwisterliche Zusammenhalten der Gemeindeglieder, durch den Heiligen Geist in Liebe verbunden. Die Gemeinschaft äußerte sich im Verkauf von Besitz zu Gunsten der Ärmeren. Diese Entscheidung wurde jeweils freiwillig getroffen und nicht gefordert. Es sollte niemand hungern oder verkümmern. Diese tiefe Gemeinschaft war wohl am ehesten in kleinen Einheiten möglich.

    Markenzeichen „Brot brechen“

    Man pflegte gemeinsame Mahlzeiten, in Privathäusern und im Tempel. Ob beim Essen auch das Abendmahl gefeiert wurde, beantwortet Lukas nicht. Offensichtlich gehörten normales Essen und Abendmahl aber eng zusammen. Gemeinsame Mahlzeiten fanden täglich statt, die Feier des Abendmahls nicht notwendigerweise.

    Markenzeichen „Gebet“

    Die Pluralform (in Gebeten) im griechischen Text macht deutlich, dass oft gebetet wurde. Möglicherweise beteiligte sich die Gemeinde auch an den regelmäßigen Gebeten im Tempel.

    Markenzeichen „Wachstum“ und „Übernatürliche Zeichen“

    Nicht nur die einzelnen Christen wuchsen in ihrer Beziehung zu Jesus, auch die Anzahl der Jünger vermehrte sich durch die Gemeinde, es kamen weitere Menschen dazu. Das Markenzeichen „Wachstum“ wird zwar in Apostelgeschichte 2 nicht erwähnt, ergibt sich aber aus den anderen Berichten. Von außergewöhnlichen Geschehnissen berichtet Lukas im Zusammenhang mit der Geschichte der Urkirche immer wieder, wobei diese fast beiläufig genannt sind und im Vergleich zu Jesus Christus ein deutliches Gefälle aufweisen.

    Die Gemeinschaft der ersten Christen war weniger eine perfekte Organisation als vielmehr ein lebendiger Organismus. Die Zugehörigkeit zur Kirche bzw. Gemeinde wurde definiert durch die persönliche und innere Zugehörigkeit des einzelnen Menschen zu Christus. Es handelte sich um eine Gruppe von Menschen, in der jeder bekennender Christ war. Durch den Heiligen Geist wurden Menschen verändert und zu einer Gemeinschaft geformt, die Gottes heilsame Herrschaft darstellen konnte. Sie war qualitativ anders als andere religiöse Gemeinschaften. Eine nicht zu planende Dynamik wirkte nach außen und erreichte andere Menschen mit der rettenden Botschaft und der dazu passenden Tat. Christliche Gemeinde war die göttliche Alternativgesellschaft, die „Stadt auf dem Berg“ als Vorbote der Gottesherrschaft.

    Die verkündigte Botschaft

    Die Orte, an denen verkündigt wurde, waren der Tempel, Synagogen und Plätze, wo Gemeinschaft gelebt wurde. Die Botschaft machte klar, dass nur Jesus das Heil bringen kann. Die Überzeugung, dass im Glauben an Jesus Christus die alleinige Heilschance für jeden Menschen liegt, egal wo und wann er lebt, ist Basis für die christliche Mission. Die Jünger waren überzeugt, dass mit dem Tod und der Auferstehung von Jesus, dem verheißenen Messias, die Zeit des Heils angebrochen war, in der Gott nach dem Zeugnis der Propheten die Nationen sammeln würde. Diese Sammlung hatte warten müssen, bis der „Dienst am Haus Israel“ erfüllt war.

    Die Jünger verstanden ihren Dienst als Aufgabe für die Zeit vor der Wiederkunft von Jesus und der endgültigen, sichtbaren Aufrichtung der Königsherrschaft Gottes. Jesus hatte sie von Anfang an in seine Nachfolge berufen, damit sie als Menschenfischer andere Menschen für seine Botschaft gewinnen (Markus. 1,17). Er hatte sie vorbereitet für diese Aufgabe (Markus 6,7-13; Matthäus 10,1-15; Lukas 9,1-6). Vor seiner Himmelfahrt hatte Jesus den Auftrag der weltweiten Verkündigung der Botschaft (in der Zeit vor der Aufrichtung des Reiches für Israel) bekräftigt (s. Apostelgeschichte 1,8), und die Jünger hatten verstanden, wie es die Berufung von Matthias zeigt. Die Verkündigung von Jesus, dem Messias, würde die Nationen unter die gute Herrschaft Gottes führen. Davon waren die Jünger überzeugt.

    Organisation

    Für die Formierung und Ausbreitung einer Bewegung ist die Organisation von zentraler Bedeutung. Gibt es eine Führerperson? Ist die Struktur autoritär oder eher demokratisch? Gibt es eine Zentralverwaltung oder existieren autonome Einheiten? Es fällt auf, dass die neutestamentlichen Hinweise auf Organisation eher gering sind.

    Die Zwölf

    In Apostelgeschichte 1,26 und 6,2 ist von „den Zwölf“ die Rede. Ansonsten kommt der Begriff „Apostel“ auch in breiterer Verwendung vor. Die Aufgaben der Zwölf waren:

    1. Lehre und Gebet (6,4);

    2. Evangelisation (1,8);

    3. Verantwortung für die missionarische Entwicklung in anderen Gebieten (8,14-25; 9,32-35);

    4. Entscheidungen im Blick auf Entwicklungen in der Heidenmission (11,1-18, 22-24);

    5. Entscheidungen in Disziplinfragen (5,1-11);

    6. Beauftragung von Gemeindehelfern (6,1-6).

    Sie waren die Leiter der Gemeinde in Jerusalem, wobei Petrus der Hauptverantwortliche war. Daran änderte sich auch durch die Verfolgung in den Jahren 30/31 nichts. Die Geschichte der Jerusalemer Gemeinde ging 41/42 n. Chr. zu Ende, als es unter Herodes Agrippa I. zu einer erneuten Verfolgung kam, in der Jakobus umgebracht und andere gefoltert wurden. Petrus wurde inhaftiert. Von „den Zwölf“ ist danach nicht mehr die Rede. In Apostelgeschichte11,30 treffen Barnabas und Paulus nur noch „die Ältesten“ der Gemeinde in Jerusalem, wobei Jakobus, der leibliche Bruder von Jesus, jetzt die Hauptverantwortung trug (12,7; 15,13; 21,18). Galater 2,1-10 setzt keine an Jerusalem gebundene Autorität mehr voraus. Die Geschichte der Kirche ist also nicht an Jerusalem gebunden.

    Die Sieben

    Apostelgeschichte 6,1-7 erwähnt „die Sieben“, wobei Stephanus wohl Erster unter Gleichen war. Hauptaufgabe dieser Sieben war die Verwaltung und Diakonie in der Gemeinde. Zumindest Stephanus und Philippus verkündigten aber auch das Evangelium. Wenn wir über Aufgabenteilung in der Urgemeinde nachdenken, dürfen wir unsere heutige Ämteridee nicht schon dort finden wollen. Paulus war überregional tätiger Missionar, Evangelist, Gemeindepastor, Seelsorger, Koordinator in überregionalen Fragen, Leiter eines Missionsteams, Lehrer von Mitarbeitern, Lehrer für Neubekehrte, Theologe, Schriftsteller und Zeltmacher. Das legt folgenden Schluss nahe: Die frühe Kirche packte die anstehenden Aufgaben an und grenzte nicht Verantwortlichkeiten mit verschiedenen Ämtern ab. Dass es zu organisatorischen Schwierigkeiten kam, zeigt Apostelgeschichte 6, aber ebenso auch, wie mit gutem Willen, persönlicher Flexibilität und Konzentration auf das Wesentliche Lösungen gefunden werden können.

    Älteste

    Ab Apostelgeschichte 11,30 erscheinen „Älteste“ als Gremium neben den Aposteln, die inzwischen Jerusalem wohl verlassen hatten. Nichts deutet darauf hin, dass die Sieben damit identisch sind. Diese „presbyteroi“ sind der Gemeindevorstand, der möglicherweise wieder aus zwölf Personen bestand. Jakobus war wohl der Leiter der Gemeinde in Jerusalem (Apostelgeschichte 21,18). Die in 1 Timotheus 3 zusätzlich erwähnten Diakone scheinen in der Gemeinde keine leitende, sondern unterstützende Funktion gehabt zu haben. Grundsätzlich wurde Organisation offensichtlich pragmatisch und flexibel gehandhabt.

    Keine ausgeprägte Ämterhierarchie

    Die Ämterhierarchie der späteren Staatskirche war in der Anfangszeit unbekannt. Die Leitung funktionierte nicht zuerst über Amtsautorität, sie konnte mit flachen Hierarchien leben – was nicht die Aufhebung von Autorität bedeutete! Das Ordnungsprinzip war die präsente Herrschaft Gottes durch den Heiligen Geist. Übergemeindliche Autorität lässt sich zwar aus den neutestamentliche Berichten ableiten (Paulus nahm sich zum Beispiel das Recht heraus, in die Situation von Ortsgemeinden zu sprechen), aber die örtliche Gemeinde blieb jeweils eine selbstständige Einheit, die sich eigenständig organisierte. Ob man die erwähnte „Kollekte für Jerusalem“ (Galater 2,10) als Zeichen dafür verstehen sollte, dass Jerusalem die Chefgemeinde war, ist nicht eindeutig. Tatsache ist, dass die Gemeinde in Jerusalem relativ früh zerfiel und dies keine Auswirkung auf die weitere Entwicklung der christlichen Gemeinden hatte. An manchen Orten (Rom, Korinth) gab es mehrere Gemeinden, die sich insgesamt aber als „die christliche Gemeinde“ verstanden.

    Schwierigkeiten und Lösungen

    Nach Apostelgeschichte 6,1-7 traten erstmalig Spannungen mit dem griechisch-sprachigen Teil der Gemeinde in Jerusalem auf, weil Witwen bei der täglichen Armenversorgung übersehen wurden. Die Lösung: Die gerechte Versorgung sollte durch Diakone gewährleistet werden. In Galater 2,10 und Apostelgeschichte 11,29 wird von einer Kollekte berichtet, die aus kleinasiatischen Gemeinden an die Gemeinde von Jerusalem überwiesen wurde. Notsituationen wurden offensichtlich gesamtkirchlich geschultert. Zwischen Christen mit jüdischer Herkunft, die sich dem Gesetz verpflichtet fühlten und Christen aus nichtjüdischem Hintergrund, kam es aber auch zu Spannungen. Getragen wurde diese Auseinandersetzung von leitenden Brüdern: Paulus und Barnabas als Vertreter der „Heiden“, Jakobus als Vertreter der „Judenchristen“. Eine drohende Spaltung wendete man durch eine gemeinsame Beratung ab (Apostelkonzil, Apostelgeschichte 15). Die gesetzesfreie Heidenmission wurde gemeinsam beschlossen, wobei die Einhaltung des jüdischen Ritualgesetzes auch später immer wieder Streitthema war.

    Die Erfüllung des Missionsauftrags

    Nach Ostern gab Jesus den Auftrag, weltweit zu missionieren (Jerusalem, Judäa, Samarien, Ende der Welt, s. Apostelgeschichte 1,8). Lukas schildert in der Apostelgeschichte genau diese Vorgehensweise: erst Jerusalem (Kap. 2-7), dann Judäa/Samarien (8-9) als Mission unter den Juden. Paulus verstand sich als „Apostel der Heiden“, predigte aber immer zuerst in der Synagoge. Damit machte er prinzipiell deutlich, dass Juden immer Adressaten der Frohbotschaft sind! Neben den im NT genannten Missionaren gab es zahlreiche weitere.

    Die Mission unter Nichtjuden war keine Idee des Paulus, sondern bereits im AT und bei Jesus Realität. Dass Heiden zum Volk Gottes hinzugefügt werden, beschreibt Paulus als Geheimnis (Epheser 3,5-6; Kolosser 1,26-27), als Erfüllung des endzeitlichen Plans Gottes, der das ganze Universum einbezieht und ausgewählten Menschen offenbart wurde.

    Das Geheimnis bestand darin, …

    • dass die zu Jesus bekehrten Heiden „Miterben“ werden, sie also Teilhaber des Segens von Abraham werden und als Kinder angenommen sind,

    • dass sie zum gleichen Leib gehören,

    • dass sie „Teilhaber der gleichen Verheißung“ sind, d. h. den Geist erhalten,

    • dass die Heiden den Segen in Jesus Christus, d. h. im „Raum Israels“ erhalten und

    • dass die Grundlage all dessen das Evangelium, die Botschaft vom Tod und der Auferstehung Jesu ist, der die Feindschaft zwischen Juden und Christen beseitigt hat (Ephesr 2,14-17).

    Den Menschen früherer Zeit war dieses Geheimnis nicht bekannt: Juden und Heiden erhalten das Heil durch den Glauben an den gekreuzigten und auferstandenen Messias Jesus Christus und werden so Teil der Heilsgemeinde.

    Von Jesus hatten die Jünger gelernt, zu den Menschen zu gehen und dabei alle Menschen anzusprechen. So viele Menschen wie möglich sollten von der Wahrheit der Botschaft Jesu, von der Bedeutung seiner Person, seines Wirkens und Sterbens und seiner Auferstehung überzeugt werden. Im Namen Jesu wurde verkündigt und geheilt, Menschen sollten zu Jüngern werden und in Gemeinschaft leben. Wort und Tat gehörten von Anfang an zusammen.

    Die missionarischen Vorstöße waren im Allgemeinen gut überlegt. Städte spielten eine wichtige Rolle bei der Planung von Stützpunkten. Paulus nutzte die bekannten Handelsstraßen und besuchte gewöhnlich die größeren Städte an der Strecke, um Orte im Hinterland kümmerten sich andere Missionare.

    Frauen hatten in der urchristlichen Mission eine eigenverantwortliche Rolle als Missionarinnen. Das Neue Testament erwähnt einige von ihnen: Priska, Töchter des Philippus, Lydia, Euodia, Syntiche, Phöbe, Maria, Tryphäna, Tryphosa, Persin und Julia. In den späteren gnostischen oder montanistischen Kreisen (s. u.) spielten Frauen als Prophetinnen und Priesterinnen eine tragende Rolle (Sierszyn, Kirchengeschichte, Neuhausen-Stuttgart 1995, Bd. 1., S. 56).

    Die christliche Gemeinde kannte spätestens ab 100 n. Chr. den Stand der Diakonin (vgl. Lib. 10.96, Plinius Traiano Imperatori), vom römischen Senator und Anwalt Plinius d. J. wurden sie „ministri“ genannt. Lutz von Padberg (Feminismus, Wuppertal 1985, S. 32) weist auf einen „hohen Anteil der Frauen in den Gemeinden des 2. u. 3. Jahrhunderts“ hin, und Sierszyn beschreibt, dass dieser „Frauenüberhang“ zu sozialen Problemen führte: „Christliche Frauen aus gehobenen Gesellschaftsschichten heirateten heidnische Männer oder lebten in außerehelichen Sexualbeziehungen, weil sie keine christlichen Männer ihres gesellschaftlichen Standes fanden.“ Sierszyn weist darauf hin, dass „Bischof Calistus von Rom (um 220) den jungen Frauen gestattete, einen freigelassenen Mann oder einen christlichen Sklaven zu nehmen, ohne eine staatliche Ehe einzugehen, wobei die Kirche/Gemeinde dies als gültige Ehe anerkannte.“ Die Missionssituation brachte es mit sich, dass in zahlreichen Ehen einer der Partner Christ, der andere Heide war (vgl. 1 Petrus 3,1). Unter dem Einfluss des Neuplatonismus (Sierszyn, S. 58), sowie jüdischer und römischer Tradition (Padberg, S. 32 ff.) kam es im 3. Jh. zu einer Herabsetzung der Würde von Frauen.

    Die konkrete Bekehrung kannte man in der antiken Welt nicht. Man konnte sich nicht vorstellen, das jemand seine ursprüngliche Religion aufgab, um sich einem exklusiven, von allen anderen Religionen unterschiedenen Glauben anzuschließen.

    In den ersten Tagen waren es also die Apostel, ihre Schüler und Helfer, die das Evangelium verbreiteten (s. Abbildung 13). Ihre Namen kennen wir: Jakobus, Petrus, Johannes (Galater 2,9), Andreas, Philippus, Thomas, Bartholomäus, Matthäus, Jakobus, Simon Zelotes und Judas (Apostelgeschichte 1,13). Sie alle hatten die Himmelfahrt Jesu erlebt und den Missionsauftrag erhalten. Später kamen außer sechs Diakonen noch Paulus, Barnabas, Markus, Lukas, Silas, Timotheus, Titus, Priscilla und Aquila hinzu. Diese Hauptzeugen waren aber nur ein kleiner Teil der ersten Missionare. Die Tausende von Parthern, Medern, Elamitern, Kleinasiern, Ägyptern, Libyern, Arabern, Römern etc., die am Pfingsttag Christen wurden, waren auch Missionare, welche die Botschaft vom auferstandenen Christus verbreiteten. Sehr schnell kam es einerseits zu Spannungen mit dem Judentum, andererseits entstanden Gemeinden jenseits der Provinzgrenzen des Römischen Reiches.

    Spätestens in den vierziger Jahren wurde Rom von der Jesusbewegung erreicht. Kleinasien wurde im Jahr 48 und Griechenland im Jahr 49 erreicht. Dass Jesu Herrschaft die Grenzen des Judentums sprengte, musste von der Kerngemeinde in Jerusalem und den messiasgläubigen Juden erst einmal „verdaut“ werden. Zu groß waren die Überraschungen, zu plötzlich die Veränderungen. Aber schon im sogenannten Apostelkonzil in Jerusalem wurde die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Jesusnachfolge und jüdischem Gesetz geklärt und damit der Weg freigemacht für die Heidenmission.

    Für politischen Widerstand in Judäa sorgte Herodes Agrippa I. Er ordnete an, dass der erste Apostel umgebracht wurde (Jakobus). Der Versuch, Petrus auch umzubringen, wurde durch ein übernatürliches Eingreifen vereitelt (Apostelgeschichte 12). Unaufhaltsam breitete sich der christliche Glaube in alle Himmelsrichtungen aus. Späterer außerbiblischer Überlieferung zufolge waren die Apostel Träger einer weltmissionarischen Bewegung, die bis in die hintersten Winkel der Erde reichte (s. Karte: „Die Reisen der Apostel“ nach: Patrick Johnstone, The Future of the Global Church, S. 23).

    Der Übergang von der Judenmission zur Evangelisation unter Griechen und anderen Nichtjuden hat wohl einen längeren Prozess durchlaufen. Stephanus und Philippus gehörten auf jeden Fall zur Gruppe der griechisch geprägten Judenchristen. Philippus wird in Apostelgeschichte 8 als Missionar unter den Samaritern beschrieben. Im Fall der Samariter verzögerte sich der Geistempfang, was außergewöhnlich war und deshalb erwähnt wird. Der Grund dafür war, dass allen klar wird: Diese Menschen gehören jetzt auch vollwertig dazu. Eine Besonderheit beim Geistempfang tritt im Rahmen der neutestamentlichen Kirchen- bzw. Missionsgeschichte immer dann auf, wenn eine neue Menschengruppe mit dem Evangelium erreicht wird.

    Beim weiteren Verlauf der christlichen Mission fällt Folgendes auf:

    • Missionare sind bereit, sich auch in Gebieten aufzuhalten, wo sie nicht mit Sympathie oder Neutralität rechnen konnten,

    • Missionarische Gelegenheiten sind nicht immer geplant,

    • Missionare lassen sich durch Berührung mit Dämonie nicht aufhalten und entwickeln keine spezielle Strategie dagegen,

    • Missionare lassen sich von lokalen Machthabern nicht beeindrucken,

    • Missionare dürfen mit Massenbekehrungen rechnen (sie bleiben aber eine Ausnahme),

    • Nicht alle Bekehrungen sind echt,

    • Prominente Bekehrte werden nicht automatisch Leiter einer Gemeinde,

    • Mission führt zur Versöhnung verfeindeter Gruppen (Bsp.: Juden-Samariter). In Apg 8,26-40 wird davon berichtet, wie erstmalig ein „Heide“ mit dem Evangelium erreicht wurde.

    Wichtig ist die Gründung der Gemeinde in Antiochien und die Mission des Paulus und Barnabas. Gemeinsames Merkmal der missionarischen Bewegung ist, dass die urchristliche Gemeinde nicht wartete, bis jemand zu ihr kam, sondern von sich aus zu den Menschen ging und sie ansprach. Für Heidenchristen waren weder Beschneidung, noch Opfer, noch Speisegesetze bindend. Allein der Glaube an Christus fügte Menschen zum Volk Gottes hinzu.

    Über der Frage nach der Verbindlichkeit alttestamentlicher Vorschriften dürfte es in Rom zu Spannungen in der Gemeinde gekommen sein. Der Kaiser reagierte darauf mit einem Ausweisungsbefehl gegenüber allen Juden in Rom. Die Gemeinde in Rom überlebte, weil Heidenchristen bleiben durften. Die etwa fünf Jahre später wieder zurückkehrenden Judenchristen mussten sich dann in eine heidenchristliche Gemeinde integrieren. Die Aufforderung von Paulus in Römer 12,14 u. 17-21 zeigt, wie wichtig die öffentliche Erscheinung der christlichen Gemeinde in der Stadt ist: Sie soll keinen Streit mit zurückkehrenden Juden pflegen, sondern verzeihen.

    Nachfolgend eine Übersicht wichtiger Daten aus der Zeit der Urgemeinde (über die genauen Daten bestehen unter Fachleuten zum Teil unterschiedliche Ansichten):

    30 od. 33

    Kreuzigung und Auferstehung von Jes; Pfingsten, Ausgießung des Heiligen Geistesus

    32 od. 35

    Bekehrung des Saulus von Tarsus

    37-41

    Kaiser Caligula

    35 od. 38

    Paulus erster Besuch in Jerusalem (Galater 1,18)

    41-44

    Herodes Agrippa I. – König von Judäa (Apostelgeschichte 12,1-21)

    41-54

    Kaiser Claudius (Apostelgeschichte 11,28; 18,2)

    44-58

    Hungersnot unter Claudius (Apostelgeschichte 11,28)

    46

    Paulus zweiter Besuch in Jerusalem

    47-48

    Paulus erste Missionsreise

    48/49

    Apostelkonferenz in Jerusalem (Apostelgeschichte 15), Paulus zum dritten Mal in Jerusalem

    49/50

    Juden werden aus Rom vertrieben (Apostelgeschichte 18,2)

    48/49 (51/52)

    Zweite Missionsreise des Paulus, vierter Besuch in Jerusalem (Apostelgeschichte 18,22)

    50-ca. 93

    Herodes Agrippa II. (Apostelgeschichte 25,13)

    51/52

    Gallio als Prokonsul von Achaja (Apostelgeschichte 18,12)

    51-58/60

    Felix als Prokonsul von Judäa (Apostelgeschichte 23,24)

    52-56/58

    Dritte Missionsreise des Paulus

    54-68

    Kaiser Nero

    58/60

    Paulus in Jerusalem – Verhaftung

    56-58 (58-60)

    Paulus – Haft in Cäsaräa (Apostelgeschichte 24,27)

    58-60 (60-62)

    Felix – Prokonsul von Judäa (Apostelgeschichte 24,27)

    58/59 (60/61)

    Paulus reist nach Rom

    59-61 (61-63)

    Paulus als Gefangener in Rom (Apostelgeschichte 28,30)

    64/67

    Paulus stirbt den Märtyrertod in Rom

    69-79

    Kaiser Vespasian

    70

    Zerstörung Jerusalems durch Titus

    Weitere geografische Ausbreitung

    Das Evangelium erreichte nicht nur Griechenland und Rom, sondern auch Ägypten. Nach frühchristlicher Tradition war Markus der erste Ägyptenmissionar. Ebenso gelang es nach Nordafrika, mehrfach sind Christen aus Kyrene erwähnt – 800 km westlich von Alexandria! Auch in Indien und Parthien wurde die Botschaft von Jesus verbreitet. In Indien lebt eine lange Tradition der sogenannten Thomas-Christen, nach dem Apostel Thomas, der dort missioniert haben soll. Eusebius berichtet von der Verkündigung des Evangeliums in Babylonien und Skythien (Schwarzmeerküste). In China lassen sich archäologische Funde aus dem Jahr 625 n. Chr. nachweisen, die auf den christlichen Glauben hinweisen. Ebenso breitete sich das Evangelium in Arabien, Syrien und Kylikien aus (hier war Paulus nach seiner Bekehrung 11 Jahre lang aktiv, Lukas berichtet davon, ebenso Galater 1,17; 2 Korinther 11,32-33, Galater 1,21+23; Apostelgeschichte 15,31), Kleinasien, Griechenland und Spanien.

    Bereits 100 n. Chr. war die Gemeinde in Rom die wichtigste Gemeinde der Christenheit. Für diese Zeit liegen keine Zahlenangaben vor. Fachleute gehen von 1000 – 5000 Gemeindemitgliedern aus. Adolf von Harnack schätzt die Größe der Gemeinde in Rom für das Jahr 250 auf 30.000 Glieder, etwa 2-3 Prozent der Gesamtbevölkerung. Vierzig Gotteshäuser benutzte die Gemeinde zu dieser Zeit (Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums …, Bd. 2, Leipzig 19153, S. 256).

    Neben Rom bildete Antiochia ein Zentrum des christlichen Lebens. Der Einfluss des dortigen Bischofs reichte bald bis nach Kappadozien, Armenien und Persien. Im Zweistromland gab es allerdings auch ein eigenständiges Zentrum, welches das Missionszentrum für Assyrien und zum Teil auch Indien wurde, die Stadt Edessa.

    Ephesus bildete die kleinasiatische Metropole. In dieser Region lag längere Zeit das Zentrum der missionarischen Bemühungen von Paulus.

    In Alexandria und Karthago gab es – wie im gesamten nordafrikanischen Mittelmeerraum – ebenfalls blühende christliche Gemeinden. Die Abbildungen 14-16 zeigen die Ausbreitung des Christentums.

    Die Abbildungen 14/15 zeigen die geografische Ausbreitung, Abbildung 16 zeigt wichtige Orte.

    Im zweiten Jahrhundert n. Chr. drang die Christusbotschaft von den Küstengebieten ins Landesinnere vor. Zuerst nutzte man die schiffbaren Flüsse und erreichte so Marseille, Vienne, Lyon. Rheinaufwärts fand die Botschaft ihren Weg nach Köln und Mainz. Nicht ganz sicher ist, ob Missionare bereits im 2. Jahrhundert nach England kamen, jedenfalls werden auf der Synode von Arles (314) nachweisbar Gesandte aus London erwähnt.

    Im dritten Jahrhundert n. Chr. schließlich gelangte der Glaube auch in kleinere Orte, zu den Landbewohnern. In Gallien breitete sich das Evangelium nach Norden aus. In Germanien wurden Städte wie Augsburg, Regensburg, weiter südlich Genf und Augst (am Rhein bei Basel) erreicht. In Spanien entstanden ebenfalls christliche Gemeinden.

    Die ägyptische Kirche wurde schon in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts zum Zentrum einer Mönchtumsbewegung. Kleinasien blieb ein wichtiges Zentrum christlicher Mission. Von hier aus zogen Missionare bis ins Rhônetal. Armenien war am Ende des dritten Jahrhunderts offiziell christianisiertes Land. Ostwärts breitete sich der christliche Glaube mit der gleichen Dynamik aus, bleibt aber im Rahmen dieses Kurses unberücksichtigt.

    Verfolgung der Christen

    Wie bereits angedeutet, kam es rasch zu Auseinandersetzungen mit den Vertretern des Judentums in Jerusalem. Nach der Eroberung des Tempels im Jahr 70 n. Chr. gab es im Judentum eine Neuorientierung und Sammlung. Die führte dazu, dass man sich von den Jesusjüngern distanzierte – was die christliche Gemeinde bis ins 3. Jh. hinein jedoch nicht hinderte, missionarisch unter Juden zu wirken. Zuerst musste Petrus (s. Abbildung 17) die Gemeinde verlassen, dann wurde sein Nachfolger, Jakobus, der leibliche Bruder von Jesus, im Jahr 62 schmachvoll umgebracht. Unter diesem Eindruck verließ die erste Christengemeinde die Stadt, um nach Pella (östlich des Jordans) zu ziehen. Die Brennpunkte der Jesusbewegung lagen danach in Antiochia und Rom, später kam Ephesus hinzu.

    Die erste große Verfolgungswelle durch die politische Obrigkeit erlebte die christliche Gemeinde unter Kaiser Nero (Abbildung 18). Im Sommer des Jahres 64 wütete ein gewaltiger Brand in der Stadt Rom. Man vermutete, dass Nero selbst den Befehl gegeben hatte, um Platz zu schaffen für neue Prunkbauten. Der aber suchte einen Sündenbock für das „Unglück“ und fand ihn in den Christen. Es handelte sich also um einen reinen Willkürakt. Dennoch war damals das gesellschaftliche Klima offensichtlich schon so stark negativ gegen die Christen gerichtet, dass es keine Probleme gab, als sie massenhaft zur Hinrichtung geführt wurden. Der römische Historiker und Senator Tacitus (um 58 – 120 n. Chr.) berichtet (Ann. XV.44): „Bei ihrer Hinrichtung steckte man sie in Tierhäute und ließ sie entweder durch Hunde zerfleischen oder heftete sie an Kreuze oder zündete sie nach Einbruch der Dunkelheit an, damit sie als Fackeln dienten.“ Wir können davon ausgehen, dass Petrus und Paulus im Rahmen dieser Verfolgung umgekommen sind.

    Kaiser Domitian (81-96) ließ erstmals systematisch Christen hinrichten. Abbildung 19 zeigt eine typische öffentliche Hinrichtung als Spektakel in der Arena.

    Ab etwa 100 n. Chr. wurde den römischen Behörden endgültig klar, dass der Christenglaube nicht eine jüdische Splittergruppe, sondern eine eigenständige Bewegung war, die nicht verharmlost werden durfte. Sie verweigerten jedes Opfer und waren damit – aus der Sicht der römischen Verwaltung – schlimmer als Juden, also Menschen dritter Klasse. Auf die Zugehörigkeit zu dieser Religion stand ab 100 n. Chr. die Todesstrafe. Sierszyn weist darauf hin, dass „die Zahl der Märtyrerinnen nicht geringer als die der Männer“ gewesen sei und erwähnt Bischof Clemens von Rom, der um 95 n. Chr. die „Seelenstärke der Blutzeuginnen rühmte“ (Sierszyn, Kirchengeschichte, Bd. 1, S. 56).

    Mehr oder weniger starke Einschränkungen beendeten die Phase intensiver Mission. Aber auch ohne öffentliche Mission blieben die Christen nicht unbeachtet. Sierszyn (Bd. 1, S. 24 ff.) berichtet, dass Christen durch ihr Verhalten auffielen. Anscheinend waren es besonders die Frauen, die in schlichter Aufmachung einen Kontrast zum römischen Prunk bildeten. Man pflegte einfache Mahlzeiten (ohne aufwendige Tafelmusik). Wenn Theaterstücke schamlose Ehebruchszenen enthielten (was oft der Fall war), mieden Christen solche Aufführungen. Christen beweinten ihre Toten nicht (anders als die damals verbreitete Trauerzeremonie). Sie verzierten die Türen nicht zum Geburtstag des Kaisers und verweigerten den Opferkult. Stattdessen kümmerten sie sich um gefangene Mitchristen und unterstützten Witwen und Arme. Christen verwarfen die Abtreibung und lehnten Betrug ab. Sie hielten Wort, setzten keine Kinder aus und lehnten die Homosexualität ab. Der besondere Lebensstil ließ viele Nichtchristen die Frage stellen, woher Christen die Kraft dafür nehmen (vgl. Eusebius von Caesarea, Kirchengeschichte, München 1981, VII 22,8 ff.)

    Eine Entscheidung des Kaisers Trajan im Jahr 111 war von besonderer Bedeutung für das Leben der Christen. Zunächst hatte sein Statthalter Plinius an verschiedenen Orten Kontakt zu Christen aufgenommen. Man sagte den Christen bereits damals merkwürdige Dinge nach: Sie feierten geheime Riten, hielten sexuelle Orgien ab, veranstalteten rituelle Festmahle mit Menschenfleisch. Nachforschungen von Plinius konnten keine dieser Anschuldigungen erhärten. Dennoch ließ er die Christen eines Ortes – auf Klage vonseiten gewisser Bürger – zusammenrufen und befragte jeden, ob er ein Christ sei (vgl. Robert Wilken, Die frühen Christen, Graz 1986, S. 36 ff.). Dabei machte er jeden Befragten darauf aufmerksam, falls er mit „ja“ antworte, würde er hingerichtet werden. Wer auch beim dritten Mal seine Zugehörigkeit zu den Christen bestätigte, wurde zur Hinrichtung abgeführt. Sein Vorgehen begründete der Beamte folgendermaßen: „Die Sache, zu der sie sich bekennen, sei welche sie wolle, aber die Hartnäckigkeit und der unbeugsame Starrsinn (in ihnen) muss bestraft werden.“ Als Antwort auf eine Anfrage von Plinius erließ Kaiser Trajan folgende Vorschriften:

    • Christen sind nicht aufzuspüren.

    • Anonyme Anzeigen sollen nicht beachtet werden.

    • Hartnäckige Christen sollen auf Anzeige hin mit dem Tod bestraft werden.

    • Reuige Christen, die widerrufen und den Tatbeweis des Opferns (im Rahmen des Kaiserkultes) erbringen, sind unverzüglich freizulassen.

    • Über ihre Vergangenheit sind keinerlei Nachforschungen anzustellen.

    Die Folge dieses Erlasses war ein Ansteigen der Prozesse gegen Christen, weil sich die Bürger nun, da die juristische Regelung klar war, ermutigt fühlten, gegen Christen vorzugehen. Gleichzeitig war es so einfach, zu überleben! Für die Christen war der Erlass eine besondere Herausforderung zur Treue: Nur ein kleiner Satz, nur ein rasches Opfer – und schon wäre man frei gewesen!

    Eine Zeit relativer Ruhe wurde 202 durch Kaiser Severus beendet. Er verbot bei schwerer Strafe den Übertritt zum Judentum. Die gleiche Anordnung traf er auch für das Christentum. Bedrängt wurden die Christen aber nicht flächendeckend, sondern abhängig vom jeweiligen Provinzverwalter. Der Historiker Clemens von Alexandria musste z. B. berichten (zit. in: J. Alzog, Universal-Kirchengeschichte, Mainz 1866, S.139): „Täglich sehen wir viele Märtyrer vor unseren Augen verbrennen, kreuzigen, enthaupten.“ In anderen Regionen scheint es weniger dramatisch gewesen zu sein.

    Zwischen 220 und 250 erlebten die Christen eine Zeit relativer Ruhe. Allmählich wurde der Christenglaube salonfähig. Kaiser Decius allerdings erkannte in den Christen eine Gefahr für die Einheit des Reiches. Er versuchte, sie wieder „auf Linie“ zu bringen und verordnete ein allgemeines Opfern. Wer seine Loyalität gegen den Kaiser verweigerte, wurde liquidiert. Aus Sicherheitsgründen verbot sein Nachfolger Valerian 257 alle christlichen Versammlungen in Häusern und Katakomben. Trotzdem breitete sich der Glaube weiter aus.

    Hören Sie das folgende Tondokument „Verfolgung 250nChr.mp3“ an und werten Sie die zusätzlichen Informationen zum Thema Christenverfolgung aus.

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    Vertiefung

    1. Lokalisieren Sie die in Apg 2,7ff. erwähnten Volksgruppen auf einer Karte.

    2. Wenn die fünf oben erwähnten Merkmale der ersten christlichen Gemeinde grundlegend für alle christlichen Gemeinden aller Zeiten sind, worauf sollten Kirchen/Gemeinden dann den Schwerpunkt legen?

    3. Welche Konsequenz ergibt sich für Christen heute, wenn wir die von den Christen der Anfangszeit verkündigte Botschaft als richtig/verbindlich/zeitlos beurteilen?

    4. Vergleichen Sie die Karten „100-200“ und „200-300“ und markieren Sie die Unterschiede.

    5. Christenverfolgung – gibt es das heute noch? Wenn ja, wo? Wie lauten die heutigen Gründe?

    6. Welche Stimmung herrschte im Volk gegenüber den Christen?

    7. Warum erwiesen sich Verfolgungszeiten als Segenszeiten für die christliche Kirche?

    8. Was nehmen Sie als neuer Erkenntnis aus diesem Kapitel mit? Was fordert Sie heraus? Was ist noch unklar?

    F Sind die Bibeltexte aus der Anfangszeit der christlichen Kirche/Gemeinde nur beschreibend oder normativ für alle Zeiten? Begründen Sie Ihre Meinung. Was ergäbe sich aus unterschiedlichen Ansätzen? Welche der geschilderten Grundsätze halten Sie heute noch für gültig? Warum? (F)

    K Welche Begründung bewegten die römische Obrigkeit zur Verfolgung von Christen? Wie ging die Politik gegen Christen vor? Welchen Erfolg hatten die politischen Maßnahmen? (K)

    1. Lokalisieren Sie die in Apg 2,7ff. erwähnten Volksgruppen auf einer Karte.

    2. Wenn die fünf oben erwähnten Merkmale der ersten christlichen Gemeinde grundlegend für alle christlichen Gemeinden aller Zeiten sind, worauf sollten Kirchen/Gemeinden dann den Schwerpunkt legen?

    3. Welche Konsequenz ergibt sich für Christen heute, wenn wir die von den Christen der Anfangszeit verkündigte Botschaft als richtig/verbindlich/zeitlos beurteilen?

    4. Vergleichen Sie die Karten „100-200“ und „200-300“ und markieren Sie die Unterschiede.

    5. Christenverfolgung – gibt es das heute noch? Wenn ja, wo? Wie lauten die heutigen Gründe?

    6. Welche Stimmung herrschte im Volk gegenüber den Christen?

    7. Warum erwiesen sich Verfolgungszeiten als Segenszeiten für die christliche Kirche?

    8. Was nehmen Sie als neuer Erkenntnis aus diesem Kapitel mit? Was fordert Sie heraus? Was ist noch unklar?

    • Sind die Bibeltexte aus der Anfangszeit der christlichen Kirche/Gemeinde nur beschreibend oder normativ für alle Zeiten? Begründen Sie Ihre Meinung. Was ergäbe sich aus unterschiedlichen Ansätzen? Welche der geschilderten Grundsätze halten Sie heute noch für gültig? Warum? (F)

    • Welche Begründung bewegten die römische Obrigkeit zur Verfolgung von Christen? Wie ging die Politik gegen Christen vor? Welchen Erfolg hatten die politischen Maßnahmen? (K)

    • Offizieller Beitrag

    Die nachapostolischen Väter und Apologeten

    Die Generation der nachapostolischen Väter mit den besonderen Herausforderungen, denen sie gegenüberstanden. Die Arbeit der Apologeten.

    Lernziele

    1. Sie lernen die wichtigsten nachapostolischen Väter und ihre theologische Arbeit kennen.

    2. Aus der Defensive in die Offensive: Sie lernen die Arbeit der Apologeten verstehen.

    3. Herausforderungen durch Kulte und Philosophie: Sie lernen die wichtigsten Irrlehren in der Anfangszeit der christlichen Kirche kennen.

    Die nachapostolischen Väter und die Apologeten

    Die nachapostolischen Väter

    Die Zeit vom Ende des 1. bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts bezeichnet man als die „Zeit der nachapostolischen bzw. frühkatholischen Väter“. In dieser Phase vollzog sich der Übergang des Christentums aus der jüdischen in die griechisch-römische Welt. Die Apostel waren gestorben, der Tempel in Jerusalem zerstört, aber die Kraft der christlichen Gemeinde ungebrochen. Allerdings lässt sich auch schon in dieser frühen Phase feststellen, dass an manchen Punkten die Akzente verschoben wurden. Diese Verschiebungen zu entdecken, ist unsere nächste Aufgabe. Wir gehen einige wichtige Schriften aus dieser Zeit durch und analysieren den Inhalt. So können wir die theologischen Streitfragen erkennen und aus den gegebenen Antworten Rückschlüsse auf die Entwicklung die Theologie der frühkatholischen Väter ziehen. Für ein vertiefendes Studium empfiehlt sich „Gestalten der Kirchengeschichte“ von Martin Greschat (Hrsg.).

    Wir beginnen mit dem Bischof Clemens von Rom. Von ihm ist ein Brief an die Gemeinde in Korinth bekannt (1. Clemensbrief), der vermutlich im Jahr 95 verfasst wurde (der 2. Clemensbrief um 150). Gemeindestreitigkeiten hatten zu Problemen geführt und die Gemeinde ernsthaft gefährdet. Seine geistliche Überzeugung war, dass Gott ein Gott der Ordnung ist. Deshalb rief er die Gemeinde zur Ordnung: „Ordnet euch unter, legt ab den prahlerischen und stolzen Eigensinn eurer Zunge!“ Manche Historiker bezeichnen diesen Brief als frühestes Dokument des römischen Papsttums, davon kann allerdings am Ende des ersten Jahrhunderts noch keine Rede sein. Übrigens weist der Clemensbrief auch darauf hin, dass der Apostel Paulus Spanien erreicht habe. Dieser Sachverhalt ist aber umstritten. Unbestritten hingegen ist, dass Paulus in Rom als Märtyrer starb.

    Ignatius, der zweite Bischof von Antiochien, schrieb um 110 n. Chr. auf seinem Abtransport nach Rom sieben Briefe an Gemeinden in Kleinasien und an die Gemeinde in Rom. Ignatius steht gewissermaßen als Bindeglied zwischen der Apostelzeit und der frühkatholischen Phase (so nennt man den Abschnitt der Kirchengeschichte, in dem die Umrisse der späteren römisch-katholischen Kirche deutlicher sichtbar werden). Er betrachtete Jesus als den Geist Gottes. Ignatius berichtete von Wirkungen des Heiligen Geistes und betonte die Notwendigkeit des Gehorsams gegenüber dem Vorsteher (Bischof) der Gemeinde, in dem sich das Verhältnis zu Christus ausdrückt. Das Abendmahl verstand Ignatius als „Medizin zur Unsterblichkeit für den einzelnen Gläubigen“, die Taufe fand in seinen Schriften wenig Beachtung. Die Sehnsucht nach ganzer Erlösung und Einheit mit Christus, ließ das Martyrium für ihn wünschenswert scheinen, obwohl ein Vorgeschmack der Erlösung schon hier auf dieser Erde möglich ist.

    Bischof Polykarp von Smyrna, 155 hingerichtet, war bei seinem Tod 86 Jahre alt, hatte also in seiner Jugend noch direkten Kontakt zur Apostelgeneration. Durch Polykarp bekommen wir u. a. Einblick in die Auseinandersetzung in der Frage nach dem richtigen Ostertermin. Die Gemeinden Kleinasiens feierten die Auferstehung „nach der Sitte der Apostel“, also getreu dem jüdischen Kalender am Passahfest (14. Nisan) unabhängig vom Wochentag. Die westlichen Gemeinden feierten mit der Gemeinde in Rom das Fest erst am darauf folgenden Sonntag. Polykarp hielt an seiner Version fest, was jedoch damals noch nicht zum Streit führte. 40 Jahre später kam es darüber zur Auseinandersetzung, die erst 325 beigelegt wurde. Auf dem Konzil von Nicäa einigte man sich auf die heutige Variante: Ostern ist am ersten Sonntag nach dem ersten Vollmond nach dem 21. März. Außerdem verbreitete Polykarp die Briefe von Ignatius und fügte eigene Briefe hinzu, wobei nur sein Brief an die Philipper erhalten blieb (nicht zu verwechseln mit dem Brief von Paulus an die Christen in Philippi). Er ermahnte darin zum rechten Glauben und zitierte zahlreiche Paulusstellen, die für ihn autoritatives Gotteswort waren.

    Aus der nachapostolischen Zeit sind weitere Schriften bekannt:

    Im Barnabas-Brief (um 130, 21 Kapitel, Verfasser: unbekannt), einer außerbiblischen theologischen Abhandlung, wurde die allegorische (sinnbildliche) Auslegung des Alten Testaments vertreten. Die Christen wurden aufgefordert, mit den Juden zu brechen, da die Juden des Alten Bundes nicht würdig seien. Vermutlich ist der Autor unter ägyptischen Christen zu suchen, die damals der Allegorese zuneigten. Die Weltgeschichte gliederte er in sechs Jahrtausende. Mit der sichtbaren Herrschaft von Jesus auf der Erde beginnt für ihn das siebte Jahrtausend (analog zum 7. Tag der Schöpfung). Das 1000-jährige Reich findet demnach auf der Erde statt.

    Auf Visionen beruht der „Der Hirte“, eine apokryphe Schrift von Hermas, einem römischen Christen, der um 140 n. Chr. wirkte. Der Inhalt wandte sich an Christen und rief sie zur wahren Buße vor der Wiederkunft Jesu auf (zur Vergebung und Kraftbegabung). Nach der Taufe müssen seiner Auffassung nach Christen heilig leben. Nur ein einziges Mal werde in der Taufe Vergebung gewährt. Allerdings wird dann zwischen bewusster und unbewusster Sünde unterschieden. „Sünde“ gilt als Zustand der Blindheit bzw. Knechtschaft. Wenn Christus wiederkommt, richtet er u. a. die Kirche.

    Von Papias, Bischof von Hierapolis (erste Hälfte des 2. Jh.), sind Briefteile aufgetaucht, die Auslegungen von Jesusworten enthalten. Der Historiker Eusebius von Caesarea zitierte daraus (S. 188 ff.):

    „Markus hat die Worte und Taten des Herrn, an die er sich als Dolmetscher des Petrus erinnerte, genau, allerdings nicht ordnungsgemäß, aufgeschrieben. Denn er hatte den Herrn nicht gehört oder begleitet; wohl aber folgte er später, wie gesagt, dem Petrus, welcher seine Lehrvorträge nach den Bedürfnissen einrichtete, nicht aber so, dass er eine zusammenhängende Darstellung der Reden des Herrn gegeben hätte.“

    Von Matthäus berichtete Papias:

    „Matthäus hat in hebräischer Sprache die Reden zusammengestellt. Ein jeder übersetzte dieselben, so gut er konnte.“

    Papias zählt zu jenen, die noch direkt Kontakt zu den Aposteln gehabt haben. Später bezog sich Irenäus auf Papias und Polykarp, um zu zeigen, dass durch den Kontakt zu ihnen eine geradlinige Überlieferung zu ihm gekommen sei. Manche Historiker bezweifeln jedoch diese Aussage.

    Eine alte Kirchenordnung, die Didache (auch „Zwölf-Apostel-Lehre“ genannt, ca. 80-120 n. Chr.), empfahl z. B., die Taufe in fließendem, kaltem Wasser durchzuführen. Vor der Taufe sollten Täufer und Täufling fasten (1-2 Tage). Am Abendmahl durften nur die Getauften teilnehmen. Älteste (Bischöfe) und Diakone sollten gewählt werden, weil sie den Dienst der Propheten und Lehrer versehen (Didache, Hrsg. N. Brox u.a., Freiburg 1991, Bd. 1, S. 119).

    Die theologischen Schwerpunkte dieser Zeit lassen sich in folgenden Punkten zusammenfassen:

    • Jesus blieb die oberste Autorität mit der Betonung, dass er Sohn Davids und Sohn Gottes ist, durch Auferstehung als Kyrios erwiesen. Christus ist der Offenbarer wahrer Sittlichkeit und Weltenrichter, seine Ethik ist die Freiheit vom jüdischen Zeremonialgesetz. Aber die Praxis des christlichen Lebens erhielt neue Akzente:

    • Die Christen achteten auf eine klare Ethik, aber sie kippten allmählich auf die Seite der Gesetzlichkeit. Man sprach immer noch von der Gnade Gottes, aber diese Gnade umfasste nicht mehr das ganze Leben.

    • Gnade konzentrierte sich auf die Taufe, die als Bad der Wiedergeburt verstanden wurde, das von Sünde reinigt. Danach musste der Christ nach den Geboten leben. Von der Gemeinde in Rom ist bekannt, dass sie unter der Last des Gesetzes litt. Viele hielten die vollkommene Heiligung nicht durch.

    • Das Abendmahl erhielt ebenfalls eine neue Akzentuierung. Ignatius sah darin das Mittel, um das Heil der Unsterblichkeit zu erlangen. Das Abendmahl empfahl er zum häufigen Gebrauch, die Kräfte Satans würden dadurch zerstört. Da lag es natürlich nahe, die Kirche bzw. den Abendmahlstisch als Opferplatz zu bezeichnen. Aus dem Dankeszeichen des Abendmahls wurde so ein Instrument des Einwirkens auf Gott und ein (magisch) wirksames Mittel.

    • Eine weitere Verschiebung betraf das Bischofsamt. Bei Ignatius war ein Abendmahl nur noch dann „gültig“, wenn der Bischof anwesend war. Der Bischof wurde zum Monarchen der Gemeinde, dem Gehorsam zu leisten war. Gut hundert Jahre später galt dann der Satz: „Wo der Bischof ist, da ist die Kirche!“ Gemeinde war nicht mehr die Gemeinschaft der Erlösten, sondern das Herrschaftsgebiet des Bischofs. Die Bischöfe erhielten mehr und mehr Kompetenz in Lehrfragen und schlossen sich regional in sogenannten Metropolitanverbänden zusammen, die dann wieder einen neuen Chef, den Metropoliten brauchten. Amt und Sukzession traten an die Stelle geistlicher Vollmacht.

    Im Jahr 250 kannte man in Rom eine ganze Stufenleiter kirchlicher Ämter, aufgeteilt in niedrigere (Türsteher, Schriftleser, Exorzist, Kerzenträger, Hilfsdiakon) und höhere Weihen (Diakon, Priester, Bischof).

    Verständlich wird die Gesamtentwicklung zur Bischofskirche auf dem Hintergrund der Bedrängnis. Die Gemeinden brauchten zum Überleben den Schutz und die straffe Führung.

    Das Verhältnis zwischen Juden und Christen entwickelte sich spannungsvoll. Um 90 n. Chr. verfassten jüdische Lehrer den Separatistenfluch im 18-Bitten-Gebet („Den Verleumdern sei keine Hoffnung, und alle Ruchlosen mögen im Augenblick untergehen …“). Jerusalem wurde als christliche Metropole bedeutungslos, andere Gemeinden lebten z. T. mit antijüdischem Bewusstsein. Das Christentum ging in den griechischen Kulturraum über.

    Die Apologeten

    Das Anliegen der Apologeten

    Der Begriff „Apologeten“ wird verwendet, um Theologen zu beschreiben, die den christlichen Glauben mit dem Werkzeug der Logik verteidigen. Die Apologeten wirkten erstmals in der Zeit 150-200 n. Chr. Sie kämpften gegen Verleumdungen durch die heidnische Umwelt, gegen Unterdrückung durch die römische Staatsgewalt und setzten sich mit Anfragen aus dem Judentum auseinander. Meistens waren die Schriften an römische Beamte gerichtet.

    Die Vorwürfe aus der Umwelt waren u. a.:

    • Der christliche Glaube ist unwissenschaftlich, gerade recht für primitive Leute.

    • Die Christen betreiben einen abscheulichen Kult.

    • Christen heiraten Brüder und Schwestern, sie begehen also Inzest.

    • Christen sind Atheisten, sie glauben nicht an einen Gott. Dies zeigt sich darin, dass sie kein Bild von ihm haben.

    • Christen sind eine Gefahr für den Staat, weil sie den Kaiserkult ablehnen.

    Die Apologeten wollten das Christentum als die wahre Philosophie herausstellen. Es sei, so betonten sie, ein vollkommener Ersatz für die griechische Philosophie und für den jüdischen Glauben. Was die Philosophen suchen, könne allein das Christentum geben. Vier „Beweise“ spielten für die Apologeten eine wichtige Rolle:

    1. Der Wunderbeweis: Jesus erweist sich durch seine vollmächtigen Taten als Gott.

    2. Der Weissagungsbeweis: Jesus ist die Erfüllung alttestamentlicher Prophetie.

    3. Der Altersbeweis: Mose ist älter als Homer und alle griechische Weisheit. Alles, was die Philosophen lehrten, hat seine Vorläufer bei den Propheten.

    4. Der praktische Beweis: Christen haben die Wahrheit nicht nur erkannt, sondern sie leben auch danach. Christliches Leben ist erfülltes Leben und zugänglich für alle.

    Die wichtigsten Apologeten

    Quadratus von Athen (gest. 129, Schüler von Paulus und Johannes?) war der erste bekannte christliche Apologet. Er behauptete, einige von Jesus Geheilte selbst getroffen zu haben und verteidigte den Glauben gegenüber Kaiser Hadrian. Seine Schriften gingen zwar verloren, wurden jedoch von Eusebius zitiert.

    Aristides, ein athenischer Philosoph, war zum christlichen Glauben übergetreten. Seine Verteidigungsschrift (Apologie, s. BKV), gerichtet an den Kaiser Antonius Pius (138-161), wurde 1889 im Katharinenkloster am Sinai entdeckt. Aristides unterschied vier Geschlechter: die Barbaren, Griechen, Juden und Christen. Die Barbaren verehrten vergängliche Elemente (Erde, Wasser, Feuer, Sonne, Wind). Die Griechen hatten ihre Götter mit menschlichen Schwächen und Leidenschaften. Die Juden beachteten Engel, Sabbate, Neumonde und andere Äußerlichkeiten. Die Christen dagegen haben seiner Überzeugung nach den wahren Gottesbegriff. Sie haben auch die höchste Ethik.

    Justin („der Märtyrer“ – Abbildung 20), geboren um 100 in Sichem († um 165), war der bedeutendste Apologet des zweiten Jahrhunderts. Sein wichtigstes Werk ist sein Dialog mit dem Juden Tryphon. Er vertiefte sich zunächst in die griechische Philosophie, blieb aber unbefriedigt. Erst als er einem Vertreter des christlichen Glaubens begegnete, fand er die gesuchten Antworten. Er wurde Christ, bewegte sich aber weiterhin unter den Gelehrten.

    In seinen Schriften argumentierte er gegenüber den Behörden mit dem Hinweis, ein Staat könne nur gedeihen, wenn Regierung und Regierte Freunde der Weisheit seien. Die Christen seien keineswegs gottlos, sondern Anhänger des wahren Gottes. Christen seien bereit, Rechenschaft über ihren Glauben abzulegen. Sie seien zudem die besten Verbündeten für den Frieden. Jeder Hass gegen sie sei unbegründet. Für die Wahrheit des christlichen Glaubens argumentierte er mit dem Hinweis auf sein hohes Alter. Moses und die Propheten, die auch schon über Christus lehrten, seien älter als Platon. In der Bibliothek von Antiochien könne man öffentlich nachlesen, dass Christus die Verheißungen des Alten Testaments erfüllt habe.

    Justin verurteilte die Lehren von Platon und anderen Philosophen nicht, er sah sie als Vorläufer von Jesus, die Anteil an seiner Wahrheit haben. Nach Auffassung der Stoiker haben alle Menschen Anteil an der Weltvernunft, dem sogenannten Logos. Also, so folgerte Justin, haben alle Menschen kraft ihrer Vernunft Anteil an Jesus, denn er sei nach dem Johannesevangelium der Logos. In allen Menschen ruhe also der Logos wie ein Samenkorn. Dies zeige sich darin, dass der Mensch auf der Suche nach Wahrheit sei. Insofern sei auch Sokrates ein Vorläufer von Jesus Christus, nur noch kein bewusster Christ. Vor der Geburt Jesu konnte überhaupt keiner zur vollen Wahrheitserkenntnis gelangen. Nun aber müssten alle vernünftigen Menschen Christen werden.

    Exkurs: Eine Schilderung Justins (Erste Apologie, Abschnitt 67) liefert einen Einblick in das gottesdienstliche Leben seiner Zeit: „An dem Tage, den man Sonntag nennt, findet eine Versammlung aller statt, die in Städten oder auf dem Lande wohnen; dabei werden die Denkwürdigkeiten der Apostel (= Evangelien, BT) oder die Schriften der Propheten vorgelesen, solange es angeht (fortlaufende Lesung, BT). Hat der Vorleser aufgehört, so gibt der Vorsteher in einer Ansprache eine Ermahnung und Aufforderung zur Nachahmung all dieses Guten. Darauf erheben wir uns alle zusammen und senden Gebete empor. wenn wir mit dem Gebete zu Ende sind, werden Brot, Wein und Wasser herbeigeholt, der Vorsteher spricht Gebete und Danksagungen mit aller Kraft, und das Volk stimmt ein, indem es das Amen sagt. Darauf findet die Ausspendung statt, jeder erhält seinen Teil von dem Konsekrierten (Geweihtes, BT); den Abwesenden aber wird er durch die Diakonen gebracht. Schließlich legen die Gläubigen Gaben zusammen für Witwen, Waisen und Arme … Teilnahmeberechtigt am Abendmahl ist nur, wer das Reinigungsbad für die Vergebung der Sünden und zur Wiedergeburt empfangen hat (Justin, Erste Apologie, Abschnitt 66).“

    Der Apologet Tatian (auch: „der Assyrer“, † um 170 n. Chr.) verfasste unter anderem zwei wichtige Schrifen: die „Rede an die Hellenen“ und „Diatessaron“ (= Leben von Jesus anhand der vier Evangelien). Er vertrat die Ansicht, der Christenglaube sei der griechischen Philosophie und dem griechischen Götterglauben überlegen, die Vorwürfe wegen Unmoral seien haltlos. Tatian selbst hat 20 Jahre in der Gemeinde Roms gelebt. Dort kam es 172 n. Chr. zum Streit. Als Missionar zog er daraufhin nach Edessa. Irenäus (135-202, Kirchenvater in Lyon) hielt ihn für einen gnostischen Irrlehrer (Contra Haereses, Kap 28,1).

    Athenagoras (tätig in Athen, Bekehrung um 163 n. Chr.) verteidigte Christen (Apologia pro Christiana, München 1913) gegen gängige Vorurteile (Orgien) und machte Kaiser Marc Aurel das Christentum als staatserhaltende Macht schmackhaft. Christentum bedeute Wohlstand und Segen für den römischen Staat. In seinen Schriften finden sich Hinweise auf die Dreieinigkeit (er benutzte das Wort „Trias“).

    Theophilus (von Antiochia, † um 185, bedeutende Schriften: Apologie an Autolycos, Schrift gegen Marcion, katechetische Literatur, Kommentare) legte dar, dass der christliche Glaube älter sei als die griechische Philosophie.

    Weitere Apologeten waren zum Beispiel Hermias (lt. Bibliothek der Kirchenväter um 200), der in seinem Werk „Gentilium philosophorum irrisio“ die nicht-christlichen Philosophen kritisierte, indem er auf ihre Widersprüche hinwies. Minutius Felix (um 200) schildert in „Octavius“ (Frühchristliche Apologeten, Bd. 2, München 1913, in BKV) einen Dialog zweier Freunde, die unter allen damals möglichen Religionen die „wahre“ im Christentum finden.

    Die Zeit der Apologeten lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:

    Die Arbeit der Apologeten war wertvoll, aber sie stand in der Gefahr, den Denkrahmen der Philosophen und Christus-Kritiker zu übernehmen. Christus wurde mit der Logos-Lehre (Logos = Weltvernunft) identifiziert und als Lehrer der Gotteserkenntnis verstanden. Heil wurde intellektuell, weniger im Sinn der Rechtfertigungslehre des Paulus definiert. Der Glaube wurde so zu einer intellektuellen und moralischen Sache, die Botschaft vom Gekreuzigten verblasste zugunsten von Jesus, dem Lehrer und Philosophen.

    Herausforderungen durch Kulte und Philosophie und die Antwort der christlichen Gemeinde

    Nicht nur der politische Druck machte den christlichen Gemeinden zu schaffen. Zusätzliche Verunsicherungen entstanden durch die Konzepte fremder Lehren und philosophischer Überlegungen. In besonderer Weise waren die Gemeinden Kleinasiens durch philosophische Konzepte herausgefordert. Dabei bestand die Gefahr, Evangelium und philosophische Spekulationen zu einer gesellschaftlich akzeptablen Mischung zu verschmelzen und dabei die Botschaft vom gekreuzigten Erlöser abzuschwächen. Für die Gemeinden war zu klären, ob die fremde Lehre noch mit dem apostolischen Evangelium übereinstimmte oder als Irrlehre abzulehnen war. Nachfolgend die wichtigsten Bewegungen, mit denen sich die Gemeinden in der Anfangszeit auseinandersetzen mussten. Erstaunlich ist, dass die Auseinandersetzung mit Irrlehren so früh einsetzte.

    Wichtige Kulte und Irrlehren in nachapostolischer Zeit

    Die Gnosis

    Der griechische Begriff „Gnosis“ meint zunächst „Erkenntnis“, später wurde er als Bezeichnung für eine religiöse Bewegung verwendet. Als Name für eine religiöse Grundströmung eignete sich der Begriff, weil die Vertreter dieser Bewegung davon überzeugt waren, dass sie die wahre Erkenntnis (das Wahre/Absolute im Sinn von persönlichem Erfahrungswissen) gefunden hätten. Der Gnostizismus war beeinflusst vom griechischen Philosophen Platon. Für Platon war die geistliche Welt getrennt und allem Materiellen weit überlegen, die menschliche Seele war gefangen im Körper. Die gnostische Frömmigkeit nahm außerdem intuitive Elemente auf, indem sie das persönliche religiöse Erlebnis betonte. Frauen waren in der entsprechenden Glaubenspraxis und Theologie gleich wichtig wie die Männer.

    Vorteil der Gnosis im Vielerlei des griechisch-römischen Götterhimmels war ihre integrative Grundausrichtung, weil sie alle Religionen als Echo auf die absolute Wahrheit verstand und wenig eigene Festlegungen brauchte. In der Begegnung mit dem neu entstehenden Christentum lautete die Herausforderung an Christen etwa so: „Euer Glaube ist nicht schlecht. Schön, dass ihr auch unterwegs seid auf der Suche nach dem Göttlichen, das verbindet uns. Aber die Idee mit dem stellvertretend getöteten Jesus passt nicht so recht. Wir führen euch auch ohne die Sache mit dem Kreuz weiter in ein wirklich erlebtes, höheres und beglückendes Leben individueller Spiritualität – egal, ob Mann oder Frau. Jeder fühlt selbst, was ihm gut tut. Der wahre Glaube steckt schon im Menschen, dazu braucht man keine Dogmen und keine Kirche. Kurz: Die gnostische Kirche ist die wirklich geistliche Kirche, die Jesus eigentlich gemeint hat.“

    Jeder wichtige gnostische Lehrer hatte seine eigene Speziallehre. Gemeinsam gingen sie davon aus, dass alle Religionen der Welt nichts anderes sind als das Echo auf die eine große Wahrheit.

    Basilides (125-155) war der früheste alexandrinische Gnostiker, den wir kennen. Seine Werke sind nur in kritischer Verarbeitung bei seinen Gegnern erhalten. Basilides war überzeugt, er sei Teil einer geheimen Tradition, die zurückgehe auf Petrus oder Matthäus. Gott sei so grundsätzlich verschieden von Menschen, dass man gar nichts über ihn aussagen könne. Gott schuf die „Mächte“, wie z. B. den Verstand und das Wort, die wiederum erschufen die Engel, diese schufen den ersten Himmel. Weitere Mächte erschufen den zweiten Himmel. Unsere Erde sei das Werk der niedrigsten Kräfte und bildet die Welt Nr. 365. Durch „magische Sprüche“ glaubten Gnostiker, diese Welten durchdringen zu können und Zugang zu Gott bzw. zum Göttlichen zu bekommen. Basilides verfasste in Ägypten einen 24-bändigen Evangelien-Kommentar, wobei er sich auf eine Geheimlehre berief, die Jesus vor seiner Himmelfahrt dem Apostel Matthias anvertraut habe. Am Kreuz sei seiner Überzeugung nach nicht Jesus, sondern Simon von Kyrene gestorben.

    Valentinus (100-160) war der berühmteste Gnostiker in Alexandria. Auch er glaubte sich in der Spur einer geheimen Tradition, die zurückgehe auf Theudas, einen Schüler von Paulus. Zu dieser geheimen Tradition gehörten mystische Erfahrungen. Valentinus behauptete, ein neugeborenes Kind in einer Erscheinung gesehen zu haben, das ihm erklärte, es sei „der Logos“. Daraufhin habe es ihm die Geheimnisse des gnostischen Erkenntniswegs dargelegt. Alle menschlichen Analogien zu Gott verwarf Valentinus. Für ihn war Gott „der Abgrund bzw. die Tiefe“ (Bythos). Diese Tiefe erzeugte Stille, die dann seine Braut wurde. Gemeinsam entstand aus ihnen der Verstand/das Denken. Stille brachte Erkenntnis aus den Tiefen des Unterbewusstseins hervor. So entstanden 28 Geistwesen, Äonen genannt. Das jüngste dieser Wesen war Sophia (die personifizierte Weisheit). Weil Sophia direktes Wissen aus der Tiefe haben wollte, was ihr eigentlich verwehrt war, wurde sie zur Mutter von formlosen Monstern bzw. der Materie. Sie wurde aus der himmlischen Gemeinschaft wegen ihres gefallenen Wesens ausgeschlossen und später ergänzt durch Christus und den Heiligen Geist. Die materielle Welt, alle Menschen und der Demiurg (Weltschöpfer) entstanden aus Sophia. Diese Wesen wussten nichts mehr von der Welt der geistigen Wesen. Sie waren gefangen in der sichtbaren Welt.

    Valentin entfaltete seine Lehrtätigkeit um 135 n. Chr. ebenfalls in Ägypten und lehrte während 20 Jahren u. a. auch in Rom. Sein „Evangelium der Wahrheit“ ist erhalten geblieben. Darin übernahm er die Ansicht, die Menschheit bestehe aus drei Klassen: 1. Hyliker (verlorene Weltmenschen), 2. Psychiker (große Masse der Christen mit niedriger Stufe der Erlösung) und 3. Pneumatiker (= wahre Christen). Man kann sich gut vorstellen, welche Probleme diese Grundhaltung im Gemeindealltag schuf.

    War die Gnosis zunächst an spezielle Lehrer gebunden, so entwickelte sich später eine schriftlich fixierte allgemeine Lehre mit folgendem Inhalt (s. Abbildung 21): Die Welt kann nur eine Mischung von Licht und Finsternis sein. Der Mensch weiß sich darin eingeschlossen, indem er Sehnsucht nach Liebe und Licht in sich spürt und zugleich (manchmal schmerzhaft) das Dunkel dieser Welt erlebt. Alles muss einen guten Anfang gehabt haben – das Reich des Lichts. Im Lichtreich wohnt der wahre Gott des Lichts und der Liebe, der Erlösergott, das sogenannte Pleroma (griech.: Fülle). Aus diesem Lichtgott stammen alle anderen Wesen wie Engel und Seelen, sie sind seine Emanationen (griech.: Ausflüsse).

    Durch Rebellion oder Ungehorsam von Engeln bzw. Geistwesen kam es nach dieser Überzeugung zu einer Gegenwelt des Bösen und zur Entstehung der Welt. Die Welt ist nicht die ursprüngliche Lichtwelt, sondern Schöpfung eines gefallenen Engels (= Demiurg, den manche Gnostiker mit JehovaJahwe aus dem Alten Testament gleichsetzten). Das Grundübel menschlichen Daseins besteht darin, dass der Geist, ein Bestandteil der himmlischen Lichtwelt, im „Gefängnis“ des Leibes ist. Erlösung bedeutet demnach die Rückkehr der gefangenen Lichtwesen in die himmlische Heimat. Aber die Herauslösung des Lichts aus der Materie ist ein langer Prozess, denn „Mächte der Finsternis“ halten die Lichter in ihrer Gewalt. Schritte der Befreiung können durch spirituelle Erfahrung (z. B. vermittelt in kultischen Feiern) gewonnen werden, echte Erlösung kommt durch allmähliches Verstehen wahrer Weisheit. Dieser Prozess verläuft von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Einige Menschen sind Pneumatiker, wahre Geistmenschen. Nur die Pneumatiker können das Göttliche erleben und haben die Fähigkeit zu wahrer Erkenntnis. Die höchste Stufe der in dieser Welt möglichen Befreiung bildet die Ekstase, der zeitweilige Austritt der Seele aus dem Körper. Endgültige Erlösung bringt erst der Tod. Leibliche Auferstehung war in der Gnosis unerwünscht.

    Eine verchristlichte Gnosis, die sich aus der Begegnung von Anhängern der Gnosis mit Christen entwickelte, konnte aus Christus die größte Emanation des Pleroma machen, der die Menschen an ihre Herkunft erinnert. Der „christliche“ Gnostiker Cerinth behauptete (1. Jh. n. Chr.), der Weltschöpfer sei nicht der höchste Gott, sondern ein Engelwesen (Demiurg). Jesus sei nicht Sohn Gottes, sondern gewöhnlicher Mensch, nur gerechter und weiser. Bei der Taufe sei der Geist auf ihn herabgekommen, worauf Jesus Wunder getan und den unbekannten Gott verkündet habe. Der (leidensunfähige) Christus-Geist habe sich dann wieder von Jesus getrennt. Jesus habe gelitten und sei danach auferstanden. Zentren christlicher Gnosis entstanden in Syrien, Ägypten, später auch in Rom.

    In angepasster Form konnte die Gnosis auf Gemeindeebene zur Ablehnung der Ehe und zum Verbot von Fleisch- und Weingenuss führen. Wegen der Geringschätzung des Materiellen zog sich das zur Gnosis neigende Christentum gelegentlich ganz aus der Weltverantwortung zurück. Gnostiker konnten aber auch als „erlöste Geistesmenschen“ den sogenannten „Libertinismus“ (Denkrichtung, die keine Regeln akzeptiert) lehren und in völliger moralischer Freiheit leben. Jesus Christus hatte im System der Gnostiker keinen wirklichen Leib, sondern nur einen Scheinkörper. Er rief einige Pneumatiker in seine Nachfolge, stiftete die reinigenden Rituale (Taufe und Abendmahl) und bahnte für die Seinen einen Weg zurück zum Licht. Jesus war aber nicht der menschgewordene Gott, nicht das Lamm, das die Sünde der Welt trug (vgl. 1 Kor 1,20-23; 1. Joh 4,20-21).

    Schwierig für die Gemeinden war, dass es in manchen Punkten Überschneidungen zwischen Evangelium und Gnosis gab und christliche Gnostiker die gleichen Vokabeln benutzten, sie jedoch anders füllten. In manchen Gemeinden bildeten sich zwei Klassen, die „einfachen“ Christen und die „erleuchteten“, die den Durchblick hatten. Die gnostischen Schriftsteller scheuten sich nicht, für ihre Ansichten Apostelnamen zu gebrauchen und setzten eine Flut von Literatur unter dem Namen von Petrus, Paulus etc. in Umlauf, wie die im Dezember 1945 entdeckte Bibliothek von Nag Hammadi (Ägypten) zeigt (z. B.: Ägypter-, Ebioniäer-, Hebräer-, Nazoräer-, Thomas-, Petrus-, Philippus- und Thomasevangelium, Jakobus- und Petrusapokalypse).

    Die Auseinandersetzung mit der Gnosis wurde zum mühsamen Kampf, der erst entschieden werden konnte, als klar war, was echte Apostelschrift und Evangelium war.

    Zusammenfassung der Grundüberzeugungen der Gnosis:

    • Gnostizismus lehnt den biblischen Schöpfungsglauben ab. Materielles stammt nicht aus der Hand Gottes. Das Alte Testament und definierter Dogmenglaube werden verurteilt.

    • Der Mensch braucht keine Erlösung von Schuld und keinen gekreuzigten Erlöser, sondern Erkenntnis und Befreiung auf einem individuellen spirituellen Weg.

    • Jesus ist nur einer von mehreren Propheten, die Erkenntnis bringen.

    Der Marcionismus

    Marcion (ca. 85-160), reicher Reeder und Sohn des Gemeindeleiters der christlichen Gemeinde von Sinope, wurde wohl vom eigenen Vater aus der Gemeinde in Sinope ausgeschlossen. Danach zog er nach Rom und lebte dort längere Zeit zurückgezogen, bis er eines Tages seine Lehre den Leitern der Gemeinde vorstellte und zur Annahme empfahl. Marcion lehnte das Alte Testament als überholt ab, weil er der Überzeugung war, der Gott des Alten Testaments sei ein ganz anderer als der Vater von Jesus Christus. Wenn Christus „das Ende des Gesetzes“ (Galater 3,23-25) sei, dann müsse das Alte Testament und Judentum als überwunden betrachtet werden. Gesetz und Evangelium passten nach Marcions Meinung nicht zusammen. Schon im Schöpfungsbericht werde deutlich, wie unvollkommen der „jüdische“ Gott sei, die Existenz des Menschen sei ein Bild des Jammers. Der (böse) Schöpfergott halte die Welt nur durch Drohungen (alttestamentliche Gesetze) zusammen – bis Jesus den ewig guten Gott (also ein ganz anderer als JehovaJahwe) auf der Erde bekannt machte, dafür vom jüdischen Gott und seinen Anhängern ans Kreuz gebracht wurde. Dadurch wurde Christus aber nicht beseitigt. Sein Tod wirkte als Freikauf, indem Christus den vom (bösen) Schöpfergott verfluchten Tod starb.

    Erlöst werde der Mensch durch das Vertrauen in Jesus. Solange der Mensch in der Materie gefangen sei (die als wertlos gilt, vgl. Gnosis), gelte es, manchen Schmerz auszuhalten, u. a. den Widerstand der Anhänger des Schöpfergottes. Jesus könne unmöglich ein wirklicher Mensch gewesen sein, seine äußere Erscheinung war nur scheinbar. Diese Überzeugung wird Doketismus genannt, von griech. „dokeo“ (scheinen). Nur Paulus habe – wenigstens einigermaßen – verstanden, was Christus gewollt hatte. Vom Neuen Testament akzeptierte Marcion nur einen Teil (Teile von Lukas und zehn Paulusbriefe), das Alte Testament „reinigte“ er von allem, was an den Schöpfergott erinnert.

    Marcion lebte damit einen tiefen Antisemitismus und eine Form der Selbsterlösung. Zunächst versuchte Marcion, in Rom Anhänger zu finden. Als wohlhabender Mann konnte er große Beträge (nach heutigem Wert: 200.000 Euro) spenden. Die römische Gemeinde schloss ihn aber aus (144 n. Chr.) und gab seine Spende zurück. Daraufhin zog er es vor, einen eigenen Gemeindeverband zu gründen. Diese Gemeinden erlebten stürmisches Wachstum bis ins 3. Jh. Bis zum 6. Jh. hielten sich Marcionisten. Marcion forderte die christliche Gemeinde heraus: Sie musste klar Stellung beziehen und dabei begründen, woher und wie sie verbindliche Aussagen machen kann, ob sie Marcions Trennung von Schöpfer und Erlöser akzeptieren und wie sie die Frage nach dem Sinn der Leiblichkeit und Menschlichkeit von Jesus beantworten würde. Die christliche Gesamtkirche verurteilte Marcion als Irrlerhrer und hielt daran fest, dass Altes und Neues Testament zusammengehören. Der

    Manichäismus

    Der Manichäismus ist benannt nach seinem Stifter Mani (216-276, Babylonien), dessen Anhänger Manichäer genannt werden. Er wuchs in einer judenchristlichen Täufergemeinde auf. Mit zwölf Jahren erhielt er eine erste Offenbarung, der mit 24 Jahren eine weitere entscheidende Offenbarung folgte. Aufgrund dieser Offenbarung trennte er sich von seiner bisherigen Gemeinde und begann eine eigene Kirche zu gründen. Zu den wichtigen Werken Manis gehören das große Evangelium des Mani, der Schatz des Lebens, die Pragmateia, das Buch der Mysterien, das Buch der Giganten und Briefe in koptischer Sprache.

    Mani (s. Abbildung 22) behauptete, ein Gesandter Gottes zu sein und das wahre Christentum zu lehren (242 n. Chr.). Seine Lehre verstand sich als die Lehre von den zwei Prinzipien und den drei Zeiten. Die zwei Prinzipien sind Licht und Finsternis, Gut und Böse, Geist und Materie. Lichtreich und Finsternis waren ursprünglich strikt getrennt. Die drei Zeiten verstand er so: Unsere jetzige Welt ist eine Vermischung. Diverse Lichtgestalten (u. a. Jesus) bringen den Menschen die Botschaft ihres göttlichen Ursprungs und ziehen sie damit auf den Weg der Erlösung, was die allmähliche Befreiung von der Vermischung bedeutet. Am Ende der Zeit kommt es zum Kampf. Jesus erscheint als Richter auf der Erde und trennt die Guten von den Bösen. Auch im Kosmos kommt es danach zur Trennung von Licht und Finsternis, wobei die Erlösten ins Lichtreich eingehen. Die Mächte der Finsternis bleiben sich selbst überlassen. Innerhalb christlicher Gemeinden traten Manichäer als Reformer auf, die alle Lauheit überwinden wollten. Besonders in China, Indien, Persien und Syrien, aber auch Oberägypten und Nordafrika fand der Manichäismus fruchtbaren Boden.

    Die allgemeine Kirche hat den Manichäismus verurteilt und im 6. Jh. n. Chr. aus dem römischen Reich vertrieben. Eusebius (Theologe in Caesarea, † 340) schreibt: „Seine lügnerischen und gottlosen Lehren … stückte er aus zahllosen, längst erloschenen gottlosen Häresien zusammen und übertrug sie wie ein todbringendes Gift vom Perserland auf das unsere“ (VII, 31,2; Übers. v. Ph. Haeuser/H.A. Gärtner, zit. in Lexikon für Theologie und Kirche S. 1267).

    Der Montanismus

    Um 150 n. Chr. war die Zeit der Urgemeinde endgültig vorbei. Das von der ersten Christengeneration täglich erwartete Weltende war nicht gekommen. Hermas (Bruder des Bischofs Pius I. von Rom, Mitte 2. Jh. n. Chr.) hatte noch gelehrt, dass Gott die Wiederkunft von Jesus aufgeschoben habe, um die Chance einer zweiten Buße zu geben. Langsam setzte sich der Gedanke durch, die Wiederkunft und das Gericht komme nach einer unbestimmten Frist. Man lebte nicht mehr so, als ob jeder Tag der letzte sei, sondern richtete es sich behaglich ein.

    Das hatte Folgen für die praktische Lebensgestaltung und das Gemeindeleben. Damit wollten sich nicht alle Christen abfinden. Im Jahr 156 trat in Kleinasien Montanus auf, ein zum Christentum bekehrter Priester des Kybele-Kultes (ab 6. Jh. v. Chr. verbreiteter Geheimkult um die „Mutter der Götter“). Er verkündete, aus ihm spräche der Geist Gottes. Die Prophetinnen Maximilla und Priscilla schlossen sich ihm an und verkündeten mit ihm, das himmlische Jerusalem stehe in Pepuza unmittelbar bevor. Die Montanisten forderten – als vom Geist Gottes Erleuchtete – angesichts dieser Dringlichkeit entschiedene Christen auf, ihre Ehen aufzulösen und mit Buße und Fasten den Herrn zu erwarten.

    Als charismatische Heiligungsbewegung verbreiteten sich die Montanisten rasch. Sie wurden in ihrer Hauptlehre von den restlichen Christen zunächst nicht als Irrlehrer betrachtet. Das Warten auf ein baldiges Weltende verzögerte sich jedoch. Als auch die letzte Prophetin Maximilla 179 n. Chr. starb und die Wiederkunft von Jesus immer noch ausstand, folgte der langsame Zusammenbruch der Bewegung. Allerdings hielten sich in den Gemeinden noch über längere Zeit montanistische Gruppen. Ekstatisches Reden, prophetische Bußpredigten, Gesetzlichkeit und regelmäßiges Fasten standen im Mittelpunkt ihrer Frömmigkeit. Montanisten fielen auf durch strenge Gemeindezucht, was sie besonders gegen Ende des zweiten Jahrhunderts attraktiv machte. Tertullian (Kirchenvater und Theologe in Karthago, † 220 n. Chr.) trat aus Protest gegen die nach seiner Ansicht inkonsequente Gemeinde zum Montanismus über, kehrte jedoch kurz vor seinem Tod zur Mehrheitskirche zurück.

    Im 4. Jahrhundert wurde der Montanismus verboten, sämtliche Bücher wurden vernichtet. Die Ablehnung des Montanismus fiel den Christen schwer, da der Montanismus das Alte Testament nicht ablehnte, die Gottheit Jesu nicht bezweifelte und in ethischen Fragen durchaus christlich war. Manche Kirchengeschichtler sehen in den Montanisten eine charismatische Bewegung, die das wahre Erbe der ersten Christen bewahrte.

    Die Abbildung 23 zeigt die zeitliche Einordnung von Verfolgungswellen und Herausforderung durch Kulte und Philosophie.

    Vertiefung

    1. Werden heute noch Apologeten gebraucht? Begründen Sie Ihre Meinung.

    2. Beschreiben Sie die Merkmale des Gnostizismus in Stichworten. Wo gibt es Schnittmengen mit dem Evangelium? Wo liegen die Unterschiede?

    3. Gibt es „Gnostizismus“ in abgewandelter Form auch heute? Wenn ja, wo findet man ihn und wie sollte man damit umgehen?

    4. Was war das „Sympathische“, was das „Gefährliche“ an Marcion? Gibt es ähnliche Auseinandersetzungen auch heute in der christlichen Kirche?

    5. Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus dem Montanismus ziehen?

    6. Werten Sie die Grafik „Entwicklung der Kirche … 0-400“ aus und prägen sich die Hauptereignisse auf der Zeitachse ein.

    F Welchen lehrmäßigen und ethischen Herausforderungen sieht sich die Kirche/Gemeinde heute gegenüber? (F)

    K Welche Verschiebungen im Vergleich zwischen „Anfangszeit“ und „Nachapostolischer Zeit“ lassen sich feststellen? Welche Gründe gibt es für diese Veränderungen? Wie kann man die Verschiebungen aus heutiger Sicht bewerten? (K)

    5. Die frühkatholischen Väter

    Die Generation der frühkatholischen Väter und ihre theologischen Schwerpunkte.

    Lernziele

    1. Sie lernen die wichtigsten alt- oder frühkatholischen Väter und ihre theologische Arbeit kennen.

    2. Sie verstehen die Antwort der Kirche auf die Herausforderung durch Kulte und Philosophie .

    3. Sie erkennen die ersten Konturen der späteren katholischen Kirche.

    Die alt- oder frühkatholischen Väter

    Den nachapostolischen Vätern folgten die „Altkatholischen Väter“. Gegen die Anfragen von außen brauchte man Klarheit von innen. Diese innere Klarheit wurde durch Bibel, Bischof und Bekenntnis (die drei „B“ bzw. „Katholische Normen“) gewonnen.

    Die Kanonfrage: Was gehört zur Bibel?

    Jede Lehraussage hat ihren Ausgangspunkt in den kanonischen, also verbindlichen Schriften. Marcion hatte eine eigene Bibelausgabe geschaffen, in der alle alttestamentlichen Bezüge fehlten. In der Frage nach den verbindlichen Schriften musste nun auch offiziell Klarheit geschaffen werden. Wie diese Klarheit gewonnen wurde, ist für uns in den Einzelheiten nicht nachvollziehbar. Es gibt aber Hinweise, die den Glauben stützen, dass der Klärungsprozess schon relativ früh abgeschlossen war und eben nicht zurückgeht auf Synodenbeschlüsse, sondern auf das Wirken des Heiligen Geistes.

    Um es vorwegzunehmen – es gilt der Satz: Ohne die Heilige Schrift gäbe es keine Gemeinde, nicht aber dessen Umkehrung. Die christlichen Gemeinden erkannten die Geistgewirktheit der Evangelien, Briefe usw. und gingen entsprechend damit um. Dieser Prozess beanspruchte recht kurze Zeit. Während dieser Klärungszeit gab es an einzelnen Stellen Unklarheit. Wenig Diskussionsstoff lieferte die Frage nach dem Umfang des Alten Testamentes, denn hier lag vom Beginn der christlichen Gemeinde an ein klarer Kanon vor. Das Alte Testament galt im Judentum in dem Umfang als Gottes Wort, wie wir es heute kennen – allerdings ohne die Apokryphen/Spätschriften, die erst in der Auseinandersetzung mit der Reformation von der römisch-katholischen Kirche als kanonisch erklärt wurden. Lediglich die Reihenfolge war etwas anders. Diskutiert wurde hingegen die Frage nach dem Kanon des Neuen Testaments.

    Von Anfang an las man die Schriften der Apostel und die Evangelien in dem Wissen, dass es sich hier um verbindliches Gotteswort handelt. Das bestätigt die rasche und flächendeckende Verbreitung und die Art und Weise des Umgangs mit den Texten. Bereits im frühen 2. Jahrhundert gab es weitgehende Übereinstimmung in der Kanonfrage. Das sogenannte „Muratorische Fragment“ aus der Zeit um 200 erkannte die Schriften an, die auch heute zum Neuen Testament gehören. Es fehlen: Mt und Mk (wobei Lk und Joh als drittes und viertes Evangelium erwähnt werden), Hebr, 1/2Petr, Jak und 3Johannes Zusätzlich zu den kanonischen Schriften sind das Buch der Weisheit erwähnt und die Petrusapokalypse (nicht alle waren mit der Lektüre in den Gemeinden einverstanden). Das Fragment weist darauf hin, dass man damals die Zeiten der Apostel und Propheten für abgeschlossen hielt und andere Literatur, so wertvoll sie auch sein mag, nicht verbindliche Gottesoffenbarung sein könne.

    Die Aussagen des Muratorischen Fragmentes (s. Abbildung 24) decken sich mit dem, was die nachapostolischen Väter bezeugten. Origenes (185-254) beschäftigte sich ausführlich mit der Kanonfrage und stellte klar, dass z. B. die „Didache“ (Kirchenordnung aus der Zeit um 100 n. Chr.), „Der Hirte“ von Hermas (oder auch: „Hirte des Hermas“) etc. nicht zu den verbindlichen Schriften zu rechnen seien. Ganz klar gehören auch das bereits erwähnte Ägypter-, Matthias- und Thomasevangelium etc. in die Reihe der Fälschungen. Zeitweise gab es vor allem in den östlichen Gemeinden Verunsicherung durch gnostische oder montanistische Schriften. Längere Zeit bewegte man hier die Frage nach der Johannesoffenbarung, im Westen wurden Fragen bezüglich des Hebräerbriefes gestellt. Ende aller Unklarheiten brachte für den Osten der 39. Osterfestbrief von Bischof Athanasius im Jahr 367, in dem er alle heutigen Schriften als allein verbindlich bezeichnete (Matthäus bis Offenbarung, zusammen 27 Bücher). Auf der römischen Synode 382 wurde unter der Leitung von Bischof Damasus der gleiche Schriftkanon bestätigt, aber eben nur bestätigt und nicht festgelegt.

    Klarheit in Glaubensfragen – Bekenntnis

    Die Gemeinden brauchten in der Auseinandersetzung mit Kulten und Splittergruppen ein Fundament, von dem aus argumentiert werden konnte. Man benötigte eine Richtschnur des Glaubens (eine Bibel mit klar definiertem Umfang, griech.: „Kanon“: allgemeiner Maßstab). Unentbehrlich wurde eine verbindliche Definition des Glaubens. Ein Bekenntnis, um sich positiv („das glauben wir“) und negativ („das glauben wir nicht“) abgrenzen zu können. Schließlich brauchte man klare Autoritätsverhältnisse, um angemaßte Autorität zurückweisen zu können (Bischof). Diese drei „B“ stehen für die damalige Abwehrstrategie der Gemeinden: Bibel – Bischof – Bekenntnis.

    Schon im Neuen Testament begegnen wir Bekenntnisformeln (u. a. 1 Korinther 8,6):

    „So haben wir doch nur einen Gott, den Vater, von dem alle Dinge sind und wir zu ihm; und einen Herrn, Jesus Christus, durch den alle Dinge sind und wir durch ihn.“

    Im Romanum ist uns ein Bekenntnis aus der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts erhalten geblieben (Altrömisches Taufbekenntnis, beschrieben durch Marcell von Ancyra, um 340 n. Chr., zit. in: Hans Streubing (Hrsg.), Bekenntnisse der Kirche, Wuppertal 1977, S. 16):

    Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, und an Christus Jesus, seinen Sohn, den einzig geborenen, unsern Herrn, den vom heiligen Geist und Maria der Jungfrau Geborenen, den unter Pontius Pilatus Gekreuzigten und Begrabenen, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren gen Himmel sitzend zur Rechten des Vaters, von wo er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten; und an den Heiligen Geist, eine heilige Kirche, Vergebung der Sünden, Auferstehung des Fleisches. Amen.

    Deutlich sind die Aussagen gegen die Gnosis: Der der fleischgewordene, in menschliche Geschichte gekommene Erlöser wird bekannt. Das Romanum wurde im 4./5. Jahrhundert zum Apostolischen Glaubensbekenntnis (Apostolicum) weiterentwickelt.

    Die Frage nach der Leitungsautorität („Bischof“)

    Wie bereits deutlich wurde, lebte die Urgemeinde ohne große Ämterhierarchie. Bald schon bildeten sich jedoch Führungsämter heraus. In den Gemeinden mussten Entscheidungen getroffen werden, Irrlehrer ausgeschlossen und falsche Lehre verurteilt werden. Bald schon leitete man die Autorität davon ab, ob man durch Handauflegung durch einen Apostel eingesetzt worden war. Wer dieses Vorrecht hatte, konnte von seiner Vollmacht wieder an andere weitergeben. Im Kampf gegen gnostische und andere Irrlehrer war dieses Mittel zwar wirksam, gleichzeitig schuf es die Trennung zwischen Geistlichen und Laien, die sich bis heute gehalten hat.

    Wichtige Vertreter

    Zu den altkatholischen Vätern wird Irenäus gezählt. Er lebte von 135-202 n. Chr., war ab 177 Bischof von Lyon und wurde durch seine Widerlegung der Gnosis zum Vater der christlichen Dogmatik. Irenäus ist deshalb von besonderem Interesse für die Kirchengeschichtsforschung, weil er direkten Kontakt zu den „Alten“ (Polykarp, Papias) hatte, jenen Christen also, die noch Beziehungen zur ersten Generation der Jesusleute hatten.

    Zwei Hauptwerke hat Irenäus der Nachwelt hinterlassen: Adversus haeresis (Gegen Irrlehre) und die Darstellung der apostolischen Verkündigung. Seine Betonung: Schöpfung und Erlösung gehören zusammen. Damit wandte er sich gegen die Gnosis. Irenäus legte Bibel wörtlich (nicht sinnbildlich) aus und entwickelte die erste heilsgeschichtliche Theologie. Gott ist für ihn in Christus wirklich Mensch geworden. Die Mitte seiner Theologie ist die Erlösung durch Christus am Kreuz als die Vollendung der Schöpfung! Ewiges Leben bedeutete für ihn den Anteil an Gottes Unvergänglichkeit und Vergottung der menschlichen Natur. Christus ist für ihn also der neue Adam (Epheser 1,10), der die Schöpfung wieder herstellt.

    Tertullian (etwa 160-220, Bekehrung um 190, dann Wechsel nach Rom, s. Abbildung 26), genoss eine juristische und rhetorische Ausbildung und war geprägt von der römischen Kultur. Geboren in Karthago und aufgewachsen in einer Offiziersfamilie, wirkte er zunächst als Jurist. Im Alter von etwa 30 Jahren wurde er Christ und nahm den Kampf auf gegen eine lau gewordene Christenheit, gegen den christenfeindlichen römischen Staat und gegen die Irrlehrer. Seine wichtigsten und in der Sprache meist messerscharfen Schriften sind: Apologeticum (Verteidigung des Glaubens), Adversus Marcionem (Gegen Marcion), De praescriptione haereticorum (Beschreibung der Häretiker) und Adversus Praxean (Gegen Praxeas). Die Bibliothek der Kirchenväter (BKV) bietet allein 21 Tertullian-Werke zur Lektüre an.

    Für Tertullian war die Philosophie Quelle der gnostischen Irrlehre, Glaubenserkenntnis stehe gegen die spekulierende Vernunft. Gegen den ungreifbaren Gott der Philosophen stellte Tertullian die Menschwerdung Gottes in Christus heraus. Tertullian wandte sich vehement gegen die Verweltlichung der Kirche und rief dazu auf, die Wiederkunft des Herrn in den Mittelpunkt des Glaubens zu rücken. So war es nur folgerichtig, dass Tertullian 207 Montanist wurde. Bei der allgemeinen Kirche gab es jede Menge Christen, die in der Verfolgung einknickten und den Glauben verleugneten. Die Montanisten hingegen gingen ohne Zögern in den Tod.

    Wesentliche Impulse kamen von Tertullian hinsichtlich der Trinitätslehre. In der Auseinandersetzung mit Praxeas verteidigte Tertullian die christliche Trinitätslehre von dem einen Gott in drei Personen. Praxeas stammte aus Kleinasien und war Vertreter des „Modalistischen Monarchianismus“.

    Exkurs: Monarchiansismus

    Was zu Beginn der christlichen Kirche nicht im Detail durchdacht wurde, musste im Lauf der Auseinandersetzung mit den Irrlehrern klar formuliert werden. Wer ist Jesus? Ist er ein Mensch? Wie kann er dann vollkommen erlösen? Ist er Gott, wie kann man dann an einen einzigen Gott glauben? Die „Lösung“ der Monarchianer ging in zwei Richtungen. Die „modalistischen Monarchianer“ (auch: Modalisten) lehrten: Es gibt nur einen Gott. Jesus ist eine Erscheinungsform (Modus) von Gott. Die logische Folgerung dieser Lehre: Dann hat der Vater selbst am Kreuz gelitten. Später verwendete man für Vertreter dieser Lehre den Begriff „Patripassianer“, aus den lateinischen Worten für „Vater“ und „leiden“. Die „dynamistischen Monarchianer“ (auch: „Dynamisten“) lehrten: Es gibt nur einen Gott. In Jesus wohne durch die Taufe die göttliche Kraft (von griech: Dynamis). Er sei aber ein Mensch.

    Tertullian formulierte gegen den modalistischen Monarchianismus: Vater, Sohn und Geist sind „unum, non unus“ (eins, aber nicht einer), sie sind wohl wesenseins, doch nicht ein Wesen. Mit der Formel „tres personae, una substantia“ (drei Personen, ein Wesen) nahm er das Bekenntnis von Konstantinopel (381) vorweg. Vater, Sohn und Heiliger Geist sind verschiedene Personen, „in Gott selbst ist ein Werden“. D. h. Gott ist nicht statisch, sondern dynamisch. Die Gottheit entfaltet sich im Lauf der Heilsgeschichte, um schließlich wieder eins zu werden. Die drei „Personen“ von Gott sind unterschiedlich in der Entwicklungsstufe, der Form und der Art, aber nicht im Grundwesen: Drei Personen, ein Wesen.

    Wegweisend wurde Tertullians Sünden- und Gnadenlehre. Er lehrte in einer Art Erbsündenlehre. Der Mensch sei eine Mischung aus Gutem und Bösem. Die Seele sei von Natur aus gut, das Mangelhafte liege im fleischlichen Körper. Kleine Kinder waren für ihn noch unschuldig, sie sind auch nicht zu taufen. Auch der sündige Mensch behält die Freiheit des Willens. In der Taufe werden die bisherigen Sünden vergeben. Die Gnade ist nicht nur wirksam in der Vergebung, sondern auch in der spürbaren Hilfe des Heiligen Geistes im Christenleben. Ziel der Erlösung ist das Leben nach den Geboten Gottes, wobei er Jesus als zentralen Lehrer sah. Das Verhältnis zwischen Gott und dem Erlösten nimmt für Tertullian rechtliche Formen an. Einerseits leisten die Menschen Genugtuung, andererseits nimmt Gott diese Leistung an. Die höchste „Leistung“ sei das Martyrium, es garantiere den sofortigen Eingang ins Paradies. Die kirchliche Autorität fand bereits bei Tertullian starke Betonung und wurde gegen Marcion mit der Apostolizität begründet.

    Clemens von Alexandrien (Mitte des 2. Jahrhunderts, wahrscheinlich in Athen geboren) kam nach Alexandrien und war dort an einer Schule tätig. Damals gab es schon zahlreiche Christen in Alexandrien und es war lange noch nicht klar, welche Stadt die für den christlichen Glauben wichtigere war: Konstantinopel oder Alexandrien. Anfang des 3. Jahrhunderts verließ er im Zusammenhang mit einer Verfolgung (durch Kaiser Septimus Severus) diese Stadt. 215 n. Chr. starb er in Kappadokien.

    Clemens stützte seine Arbeit auf die Bibel und bekannte sich klar zum Alten Testament. Aber griechische Philosophie und Bibel mussten nach seiner Ansicht keine Gegensätze sein, er wollte beide zusammenbringen. Also folgerte er: Der göttliche Logos ist in Christus Mensch geworden. Die Hauptschriften von Clemens sind Protreptikos (Verteidigung des Glaubens gegenüber gebildeten Griechen), Paidagogos (christliche Ethik), Stromateis (wörtlich: Teppiche, weil das menschliche Leben wie ein Teppich verwoben ist). Seiner Überzeugung nach ist das Glaubenserkenntnis ist nicht Theorie, sondern auf persönliche Erfahrung gegründet. Ein vollkommener Christ ist zudem ein vollkommener Gnostiker, der keine menschlichen Lehrer mehr braucht, weil er schon hier in der Gemeinschaft mit Gott lebt. Zur vertiefenden Lektüre wird die Bibliothek der Kirchenväter (BKV) mit vier Clemens-Werken empfohlen.

    Einschub: Politische Lage

    Den Verfolgungswellen im 2. Jahrhunderts folgte eine ruhige Phase in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts. Der christliche Glaube fand mehr und mehr Anerkennung und verbreitete sich auch in ländlichen Gebieten. Kaiser Decius (um 190-251) nutzte im schwächer werdenden Imperium Romanum aber die 1000-Jahr-Feier des Reiches zu einer erneuten und planmäßigen Christenverfolgung.

    Origenes (185-254, s. Abbildung 27) aus Alexandrien verdient als Kirchenvater besondere Beachtung, weil er die kirchliche Theologie des dritten Jahrhunderts maßgeblich prägte. Origenes’ Vater Leonides war bekennender Christ, Anfang des 3. Jh. fiel er einer Christenverfolgung zum Opfer. Origenes kam früh zum Glauben. Er muss außerordentlich begabt und fleißig gewesen sein, denn im Alter von 18 Jahren wurde er bereits in verantwortliche Stellung an der alexandrinischen Katechetenschule eingesetzt. Er war vor allem als Lehrer tätig, der tagsüber unterrichtete und nachts studierte. Weit über Alexandria hinaus wurde er durch sein Wissen zum gefeierten Lehrer. In Ambrosius fand er einen wohlhabenden Unterstützer, der es ermöglichte, dass Origenes die nötige Büroinfrastruktur zur Verfügung gestellt wurde.

    Nach einer Auseinandersetzung mit Bischof Demetrius von Alexandrien, der die Aufsicht über die Katechetenschule wollte, verlegte Origenes seinen Wirkungsort nach Cäsaräa und entfaltete dort eine außergewöhnlich umfangreiche schriftstellerische Tätigkeit. Im Unterschied zu Tertullian und Irenäus (westliche Theologen) bekämpften die Osttheologen (Origenes und Clemens waren „Alexandriner“) die Gnosis, indem sie die Abgrenzung nicht so kategorisch vornahmen, sondern nach Gemeinsamkeiten suchten und diese auch betonten. An der Katechetenschule in Alexandrien schuf man so etwas wie eine Synthese zwischen Christentum und griechischer Philosophie. Gnosis, also Erkenntnis, war für die Alexandriner eben auch ein positives christliches Ziel, das über den „gewöhnlichen“ Glauben hinausging.

    Schwerpunkt seiner Arbeit blieb die Auslegung der Heiligen Schrift. Um eine möglichst genaue Übersetzung zu haben, entwarf er die Hexapla (griech. Ἑξαπλᾶ ‚die Sechsfache‘), eine um 245 herausgegebene, mehrsprachige Synopse des alttestamentlichen Textes in sechs Spalten. Sie verfolgte das Ziel, die Übereinstimmung des griechischen Textes der Septuaginta mit dem hebräischen Text nachzuweisen oder ggf. herzustellen. Den eigentlichen Sinn eines Bibeltextes sah Origenes erst dann gefunden, wenn er den tieferen Sinn hinter den Buchstaben(Allegorese) entdeckt hatte. Systematisch unterschied er zwischen dem somatischen (wörtlich, geschichtlich), dem psychischen (moralisch, philosophisch) und dem pneumatischen (mystisch, geistlich) Sinn eines Bibeltextes. Wirklich tiefe Erkenntnisse seien nur auf Ebene drei möglich. Hier flossen die gnostischen Ideen in die Lehre des Origenes ein. Origenes gilt als Begründer der Christus-Braut-Mystik, die einen Höhepunkt in der Vermählung der Seele mit Christus erlebt.

    Zu den Favoriten des Origenes gehörte auch Platon, dessen Ansichten er in sein eigenes System einflocht. Seine theologische Konzeption sieht folgendermaßen aus: Gott ist jenseits von Vernunft und Sein, er ist der Urgrund, über den hinaus nichts gesagt oder gedacht werden kann. Weil er die Güte ist, teilt er sich mit, d. h. er lässt den Logos (Christus) aus sich heraustreten wie das Licht den Glanz. Der Logos ist zwar gleichen Wesens, jedoch niedriger. Nur der Vater ist Gott, der Sohn ist zweiter Gott. Der Logos ist ewig gezeugt und geschaffen (Emanation). Der Sohn Logos ist der Mittler. Er steht zwischen dem ungezeugten Gott und der geschaffenen Welt. Durch den Sohn-Logos schafft Gott ewig die ganze Welt der Geister. Auf Rang drei steht der Heilige Geist. Er ist das erhabenste durch den Sohn geschaffene Wesen. Diese drei Stufen bilden bei Origenes die „angebetete Dreifaltigkeit“.

    Da unter dem Heiligen Geist noch die Engel, die Menschenseelen, die Dämonen und der Teufel folgen, ist die Trinität nach unten offen. Die Seelen sind auf jeden Fall präexistent (sie existierten schon vor der Menschwerdung). Noch vor dieser Zeit und Welt geschah der Ur-Sündenfall. Der oberste Engel wollte Gott gleich werden. Der sich so Empörende wurde aber mit seiner Anhängerschaft von Gott in den Abgrund gestoßen. Gott hatte dennoch Erbarmen und stoppte den „freien Fall“, indem er den Fallenden Orte des Wohnens zuwies: die sichtbare Welt, die Luftregion, die Unterwelt. Die sichtbare Welt ist also der erste Akt der Erlösung. Allerdings entwickelte Origenes keine totale Ablehnung der Leiblichkeit, sondern sah das Ziel der Leiblichkeit in deren Vergeistigung, was er übrigens auch für die gesamte Schöpfung als Ziel betrachtete. Christus brachte die Erlösung durch seine Menschwerdung. Er predigte, lud Menschen ein, siegte über die Dämonen, gab seine reine Seele als Lösegeld. Er wurde wie unsereiner, wir werden wie er. Nach dem Tod kommt für die Glaubenden die eigentliche Erlösung. Doch zunächst erfolgt das Gericht, das die Guten ins Paradies, die Bösen in die Hölle bringt. Die Guten dringen danach höher durch weitere Sphären und Äonen der Vervollkommnung bis zur Vollendung. Schließlich werden auch die Bösen, ja selbst der Satan, zu Gott zurückgeführt, was einer Allversöhnung entspricht.

    Verschaffen Sie sich weitere Einblicke durch das Tondokument „Origenes gegen Celsus.mp3“

    Es ist schwierig, diesen Mann zu würdigen. Auf der einen Seite stehen wichtige Verdienste, auf der anderen Seite bleiben Fragen. Von der Kirche wurde Origenes durch die Synode von Konstantinopel 553 verurteilt. In seiner Zeit fand er jedoch zahlreiche Schüler und Nachfolger, die seine Gedanken verbreiteten. Bis heute berufen sich Mystiker auf diesen Mann der alten Kirche.

    Cyprian (von Karthago, 200?-258) war der kirchengeschichtliche Kollege von Origenes, hervorgegangen aus der nordafrikanischen Kirche, ebenfalls Jurist und Rhetor. Um 245 ließ er sich taufen, verschenkte einen großen Teil seines Vermögens, studierte die Bibel und die Schriften Tertullians. Cyprian glaubte, das Dunkle dieser Welt wie Mord, Krieg, Unzucht, Korruption, Gladiatorenkämpfe etc. sei nur durch die Taufe überwindbar. Hier werde der Schmutz abgewaschen und die Kraft zur Überwindung der bösen Mächte geschenkt. Die Glaubensprüfung durch die durch Kaiser Decius veranlasste Verfolgung brachte eine enorme Zahl von Christen, die bereit waren, dem Glauben abzusagen.

    Auch Cyprian ergriff die Flucht und wurde von einigen dafür angeklagt, ein Verräter zu sein. Er blieb jedoch dem Glauben treu, wenn auch im Exil. Die große Frage nach dem Abflauen der Decischen Verfolgung war die, wie mit den „Abgefallenen“ zu verfahren sei. Sind diejenigen, die bereit waren, dem Glauben zu entsagen, einfach wieder in die Gemeinden aufzunehmen oder nicht? Die Kirchenzuchtfrage wurde zentral. Eine zweite Buße erlaubte, für schwere Sünden noch einmal Vergebung zu erlangen. Ausgenommen waren die Todsünden: Mord, Ehebruch und Hurerei und Abfall vom Glauben. Todsünder mussten ihr Leben lang im Bußstand bleiben. Für „Verräter des Glaubens“ wurde es nun doch ermöglicht, wieder in die Kirchengemeinschaft aufgenommen zu werden, besonders wenn man Märtyrer als Fürsprecher vorweisen konnte. Man erlaubte es auch abgefallenen Geistlichen, wieder zurückzukehren, verlangte aber den Verzicht auf ein Amt. Wer geopfert hatte, musste auf der Bußbank bleiben. Wer seine Opferbescheinigung durch Bestechung beschafft hatte (ohne selbst zu opfern) wurde freigesprochen.

    Cyprian hinterließ bleibende Spuren durch seine Arbeiten am Thema „Kirche“. Ihm ging es darum, einen klaren Kirchenbegriff zu haben, der zur Festlegung führte, dass Heil nur innerhalb der Kirche zu finden sei. Im sogenannten „Ketzertaufstreit“ wurde die Frage diskutiert, ob die Taufe von „Ketzern“ eine wirksame Taufe sei. Cyprian sprach sich dafür aus, dass eine Taufe nur gültig sei, wenn sie von einem rechtmäßigen, moralisch korrekten Amtsträger der Mehrheitskirche vollzogen wurde. Cyprian begründete wohl als Erster die Autorität Roms mit der Petrusnachfolge des Bischofs von Rom.

    In Rom gab es in der Folge der Decischen Verfolgung eine Spaltung durch Novatian (um 200 – 258, (Gegen-)Bischof in Rom), der eine strenge Linie verfolgte und keine Gemeinschaft mit „Todsündern“ duldete, also solche, die während der Verfolgung den Glauben verleugneten, dazu Mörder, Diebe, Ehebrecher. Novatian war mit Cyprian der Meinung, dass nur moralisch einwandfrei lebende Priester wirksame Segenshandlungen durchführen können. Sein Kollege, der an Novatians Stelle gewählte, großzügigere Bischof Cornelius in Rom setzte sich jedoch durch. Cyprians und Novatians Ansicht wurde verworfen (Novatianisches Schisma) und festgestellt, dass die Weihe- oder Segenshandlungen von kirchlichen Amtsträgern in jedem Fall wirksam sind. Diese Ansicht hat sich bis heute gehalten.

    Die Novatianer bildeten bis ins 7. Jahrhundert eine mächtige Konkurrenzkirche und verbreiteten sich von Spanien bis Syrien. Cyprian selbst wurde 258 hingerichtet, er starb als Märtyrer.

    Hinweis: Für ein Studium der Originaltexte wird die „Bibliothek der Kirchenväter“ empfohlen (http://www.unifr.ch/bkv/awerk.htm).

    Versucht man die Haupterrungenschaften der altkatholischen Väter zusammenzufassen, ergibt sich folgendes:

    • Heil und Rettung gibt es für sie nur innerhalb der sichtbaren Heilsanstalt der allgemeinen Kirche. Diese Kirche gründet sich auf das Fundament der Bischöfe. Hier allein gibt es die Wahrheit des Glaubens: Heilige Schriften, Bekenntnis, mündliche Überlieferung.

    • Gott ist einer. Schöpfergott und Erlöser sind eins.

    • Auch das Alte Testament hat Gültigkeit in der Kirche.

    • Gott schuf die Welt durch sein Wort aus dem Nichts.

    • Christus, der Logos, wurde Fleisch (geg. Doketismus – nur scheinbar Mensch).

    • Nicht nur die Seele, auch der Leib wird auferstehen.

    • Die Taufe ist das Bad der Wiedergeburt, die Vergebung der Sünden, sie vermittelt den Heiligen Geist. Verdienstvoll sind Fasten, Ehelosigkeit und Martyrium.

    Vertiefung

    1. Welche der in dieser Einheit aufgeworfenen theologischen Fragen der frühen Christenheit sind heute noch aktuell?

    2. Auf welche Herausforderungen antwortete das „Romanum“?

    3. Was beeindruckt Sie an der Arbeit von Tertullian? Beziehen Sie die Erkenntnisse aus dem Tondokument bitte in Ihre Bewertung mit ein.

    4. Unterscheidet sich Ihr Verständnis vom dreieinigen Gott von dem Tertullians?

    5. Wie beurteilen Sie die Theologie von Origenes? Bestimmen Sie je zwei positive und zwei negative Aspekte.

    6. Können Sie Cyprians Kirchenverständnis teilen? Begründen Sie ihre Meinung.

    F Was sind die Vor- und Nachteile von Glaubensbekenntnissen? Auf welche Fragen müsste ein Glaubensbekenntnis heute eingehen? (F)

    K Welche wichtigen Akzentverschiebungen lassen sich zwischen nachapostolischen und frühkatholischen Vätern beobachten? Wie kam es dazu? Was ist daran problematisch? (K)

    • Offizieller Beitrag

    Die konstantinische Wende und der Streit um die Trinität

    Die Konstantinische Wende – das Christentum wird Staatsreligion mit allen positiven und negativen Folgen. Die großen theologischen Auseinandersetzungen um die Trinität.

    Lernziele

    1. Die verfolgte Kirche wird staatlich bevorzugte Kirche. Diese Wende wird „Konstantinische Wende“ genannt, weil sie verknüpft ist mit dem römischen Kaiser Konstantin. Sie lernen die Hintergründe dieser Entwicklung verstehen.

    2. Kritische Anfragen von außen machen eindeutige Stellungnahmen erforderlich. Wer ist Jesus, Mensch und/oder Gott? Die sogenannte Christologische Frage bestimmte die theologische Diskussion bis in 9. Jh. n. Chr. Sie lernen einige Positionen und die Bedeutung der ersten Konzile kennen.

    3. Sie erkennen, dass die Konstantinische Wende nicht nur Vorteile für die Kirche bringt, denn sie fördert Mitläufertum und das Anhäufen von Reichtum.

    Konstantin – die große Wende

    Vorbereitende Schritte

    Auf die letzte große Christenverfolgung, die von Diokletian (245-312, Kaiser von 284 bis 305) und seinen Nachfolgern mit besonderer Systematik und Brutalität unternommen worden war, folgte ein Umschwung: die „Konstantinische Wende“. Sie beschreibt den Wechsel von der verfolgten christlichen Kirche zur bevorzugten Staatsreligion. Dieser Wechsel erfolgte nicht auf einmal, sondern über mehrere Stufen. Das Edikt von Mailand (bereits 311 vom todkranken Galerius verkündet) verschaffte den Christen schon eine Reihe von Erleichterungen. Die Wende der kaiserlichen Religionspolitik erfolgte 313 durch Konstantin und Licinius.

    Über die Stufe der Duldung wurde das Christentum nach und nach die Staatsreligion unter Theodosius d. Gr.. Die Übersicht zeigt die Reihenfolge der römischen Herrscher vor und nach Konstantin. So lassen sich die nachfolgend erwähnten Herrschernamen besser ordnen.

    Die verwaltungstechnische Aufteilung des Reiches geht zurück auf Diokletian, der 293 zwei Augusti (je einen für das Ost- und Westreich) eingeführt hatte, die von je einem Cäsar (Juniorkaiser) unterstützt werden sollten, um so eine größere Stabilität zu gewinnen. Abbildung 28 zeigt die Übersicht der römischen Augusti und Cäsaren von 284-565).

    Konstantin der Große

    Konstantin der Große (306-337, s. Abbildung 29) lenkte die Politik dahin, dass das Christentum zur Staatsreligion wurde, duldete aber heidnische Kulte weiterhin. Umstritten ist die Motivation von Konstantin: War er überzeugter Christ, kluger Staatsmann oder beides? Die spätere Ermordung von Frau, Sohn und zahlreichen anderen lässt Zweifel am Glauben Konstantins aufkommen. Für die Geschichte bedeutend wurde der Sieg gegen Maxentius, den Beherrscher Roms (damals Augustus, also Ehrenkaiser von Italien, Spanien und Nordafrika). Zur Ermutigung seiner Soldaten ließ Konstantin (damals Augustus von Gallien und Britannien) Christuszeichen auf die Schilde der Kämpfer malen – und sie gewannen die Schlacht an der Milvischen Brücke (28. Okt. 312)!

    Unmittelbar nach dem Sieg begann Konstantin die christliche Mehrheitskirche (nicht die Sondergruppen!) zu begünstigen und erließ z. B. den Geistlichen die Steuer. 321 wurde die Feier des Sonntags gesetzlich verordnet. Vier Jahre später wurden die Gladiatorenkämpfe als Strafe für Christen verboten. Prunkvolle Kirchenbauten, allen voran die Kirche (Hagia Sophia) der neuen Hauptstadt Konstantinopel (330), folgten. Der Sieg Konstantins reduzierte die Zahl der regierenden Augusti auf zwei, einen im Westen (Konstantin) und einen im Osten (sein Schwager Licinius). Die Taufe Konstantins kurz vor seinem Tod ist historisch umstritten. Grund für den Umschwung war wohl nicht allein die Entscheidung Konstantins. Der Christenglaube hatte sich so stark entfaltet, dass man nicht mehr daran vorbeigehen konnte und sich zwangsläufig damit arrangieren musste.

    Man sollte sich den Übergang von der verfolgten zur privilegierten Kirche nicht ruckartig, sondern als Prozess vorstellen. Es brauchte einige Jahrzehnte, bis sich die römische Gesellschaft mit den neuen Gegebenheiten arrangiert hatte. Der über Jahrhunderte gewachsene Umgang der Römer und Griechen mit Religion führte nicht über Nacht vom Polytheismus zum monotheistischen Christentum. Erste Änderungen, wie etwa das Ende von Christenverfolgungen, waren natürlich unmittelbar spürbar. Viele Christen waren für die Erleichterungen dankbar, die sie nach Jahren unterschiedlich starker Bedrängnis jetzt genießen konnten. Wer sollte daran denken, welche negativen Folgen es haben würde, wenn das Christentum zur Staatsreligion wird?

    Die negativen Folgen

    So erleichternd die neue Politik für viele gewesen sein mag, schon bald wurden auch schwierige Folgen deutlich: Die Staatskirche musste dem Ziel der politischen Einheit dienen. Die römische Verwaltungskunst hielt Einzug in die Kirche: Zu den „Errungenschaften“ der Konstantinischen Wende zählt auch die Ausbildung des Synodalwesens, also der Versammlung von Kirchenleitern zur Regelung von Lehr- und Strukturfragen der Kirche. Der Begriff kommt vom griech. synodus und bedeutet: Zusammenkunft, gemeinsamer Weg. Man unterschied die „Reichs- oder ökumenische Synode“, wobei der Unterschied zum heutigen Ökumene-Begriff zu beachten ist: Damals meinte „ökumenisch“ die reichsweite Versammlung der Kirchenleiter, die unter kaiserlicher Führung stand und deren Beschlüsse Reichsgesetze wurden, im Unterschied zu „Provinzialsynoden“, die für den Zusammenhalt in den Regionen bedeutsam waren.

    Durch die Verbindung von Kirche und Staat war die Entwicklung des Klerus (die Hauptamtlichen der Kirche) zu einem besonderen bürgerlichen Stand vorgezeichnet. Der Bischof wurde unumschränkter Herr seiner Gemeinde. Er hatte auch das Verfügungsrecht über das Gemeindevermögen. Gewählt wurde der Bischof damals noch von den Laien. Die Kleriker wurden durch eine Ordination eingesetzt, wobei deren Ausbildung in den Händen der Metropoliten lag, der regionale Führer. Allmählich wurde es auch Sitte, die Geistlichen vom Kirchengut zu bezahlen.

    Rasch wuchs der Reichtum der Kirche: Kostbare Kirchengeräte, liturgische Gewänder, reiche Liturgie, glänzende Feste, prächtige Gebäude – all das sollte die heidnischen Tempelkulte überbieten und die Häretiker (Falsch-Gläubige, vom Mehrheitsglauben Abweichende) unattraktiv erscheinen lassen.

    Durch den Zustrom der Massen, die nun plötzlich Kirchenmitglieder sein wollten oder auch mussten, kamen Vorstellungen und Gebräuche mit in die Kirche, die dem Heidentum entnommen waren. So bestand bei vielen der Polytheismus fast ungebrochen innerhalb der christlichen Kirche fort. Die heidnischen Lokalgötter wurden einfach durch christliche „Heilige“ (meist Märtyrer) ersetzt. Das Anzünden von Kerzen ersetzte das frühere Räuchern, um die Dämonen zu vertreiben. Elemente aus Mysterienkulten drangen in die Kirche ein und führten zur Vertiefung magisch-sakramentaler Vorstellungen in Reliquien- und Bilderverehrung, in Messopfer und Wallfahrt. Die ausgelassenen heidnischen Feste fanden eine Entsprechung in Märtyrer-Gedenkfesten.

    Der Donatistenstreit

    In die Regierungszeit Konstantins fiel der sogenannte Donatistenstreit. Seinen Namen erhielt der Streit durch Donatus, Bischof von Karthago. Die Auseinandersetzung entzündete sich im Rahmen einer Bischofswahl in Karthago. Einer der Kandidaten hatte mit den Verfolgern des christlichen Glaubens zusammengearbeitet. Manche waren der Meinung, wenn ein ehemaliger „Verräter“ echte Reue gezeigt habe, könne er wieder seinen Dienst verrichten. Donatus lehnte das ab. Die afrikanische Kirche folgte Donatus. Sie wollte keine Gemeinschaft mit „Todsündern“ (also z. B. solchen, die einmal vom Glauben abgefallen waren, indem sie dem Kaiser opferten), zumindest innerhalb des Klerus. Der Streit eskalierte, als Konstantin versuchte, die Afrikaner mit Gewalt zu unterwerfen. Dieser Versuch schlug fehl. Die Donatisten blieben ihrer Linie treu. Die restliche Christenheit erklärte nun die Donatisten zu „Schismatikern“ (organisatorisch und verfassungsmäßig getrennt, im Unterschied zu den „Häretikern“, die auch lehrmäßig andere Wege gingen). Mit den Abweichlern ging Konstantin nicht zimperlich um. Im Häretikergesetz von 326 heißt es:

    „Erkennt nun durch dieses Gesetz, ihr Novatianer, Valentianer, Marcioniten, Paulianer, ihr, die ihr nach den Phrygiern zubenannt seid, kurz, alle, die durch ihre besonderen Versammlungen die Sekten bilden, in welche Lügen eure Torheit sich verstrickt hat und mit welch tödlichem Gift eurer Lehre die Gesunden zur Krankheit, die Lebenden zum ewigen Tode gebracht werden … Was sollen wir länger solche Frevel dulden? Unsere lange Nachsicht bewirkt ja nur, dass auch die Gesunden wie von einer pestartigen Krankheit befallen werden … Um aber dieser Heilung den notwendigen Nachdruck zu verleihen, haben wir Befehl gegeben, alle Versammlungsstätten dieses Aberglaubens … zu beschlagnahmen und ohne Einspruchsmöglichkeit und Zeitverzug der katholischen Kirche zu übergeben; die übrigen Örtlichkeiten aber dem Fiskus zuzuführen und euch in Zukunft keinerlei Möglichkeit zu belassen, euch zu versammeln.“

    Der Umgang mit den Donatisten Nordwestafrikas bleibt eine wichtige Frage für den weiteren Verlauf der Kirchengeschichte. War das Heiligungsstreben der Donatisten generell zu radikal für eine Volkskirche? Anders als in Ägypten kannte man in Nordwestafrika keine Mönchsbewegung. Die ägyptische Kirche konnte durch die Mönchsbewegung wesentlich besser mit Heiligungsbewegungen umgehen. Scheiterten die Donatisten an der Ungeschicklichkeit ihrer Leiter oder an Strukturfragen? Im Unterschied zu anderen Regionen des Römischen Reiches fanden die Versammlungen der Christen in den Häusern der Bischöfe statt. Bischöfe wurden jeweils von den Ältesten einer Ortsgemeinde gewählt. Dies führte zu einer Vielzahl von Bischöfen (rund 300) mit der Folge einer Zersplitterung der nordwestafrikanischen Kirche. Daran änderte die Zusammenlegung von fünf Bischofssitzen in Karthago (4./5. Jh.) nichts.

    Letztlich wurden die Donatisten von Konstantius (einer von Konstantins Söhnen, unterstützt durch Augustin) als Häretiker behandelt. Der Besuch einer donatistischen Versammlung wurde durch Androhung der Todesstrafe verboten. Die Bewegung, die für eine heilige Kirche kämpfte, wurde schließlich ausgelöscht. Die Mehrheitskirche setzte sich durch und „bewältigte“ die erste größere Kirchenspaltung mit Gewalt. War diese Kirchenspaltung einer der Gründe für den Untergang des christlichen Afrika in der Zeit islamischer Eroberungen?

    Buchempfehlung zur weiteren Auseinandersetzung: „Wenn Kirchen sterben“ von Bernd Brandl.

    Konstantins Nachfolger

    Von den drei Söhnen Konstantins erlangte nur Konstantius größere Bedeutung. Er schränkte die Freiheit der nicht christlichen Kulte grundsätzlich ein.

    Unter Julian (361-363) erfolgte noch einmal eine kurze heidnische Phase. Unter anderem befahl Kaiser Julian den Ausschluss der Christen von der literarischen Bildung durch ein Schulgesetz (362).

    Seine Nachfolger fanden wieder zur christenfreundlichen Politik zurück, ließen aber den Kulten die bisherige Freiheit. Erst unter Theodosius d. Gr. (379-395 im Westen, s. Abbildung 30) und Gratianus (375-383 im Osten) kam es zu Einschränkungen der heidnischen Freiheit. Das Religionsedikt von 380 forderte von allen Römern die Annahme des „von dem Apostel Petrus den Römern überlieferten“ Glaubens. Allerdings hielten die senatorischen Familien weiterhin an den alten Kulten fest. Drei Jahre später ließ er ein umfassendes Häretikergesetz folgen. Im Jahr 389 schwor der römische Senat feierlich dem alten Glauben ab. Allmählich verlor das Heidentum an Einfluss.

    Ob die Konstantinische Wende positiv oder negativ für die Kirche war, wurde und wird unterschiedlich beurteilt. Tatsache ist, dass die Entwicklung auch problematische Erscheinungen mit sich brachte: Die Kirche nahm die kaiserliche Herrschaft über die Kirche in Kauf. Der Kaiser war interessiert an der kirchlichen Einheit und dieses Interesse wirkte sich aus im Umgang mit Lehrfragen. Als Folge des Staatskirchentums und der damit verbundenen Verflachung der Frömmigkeit muss auch die rasche Ausbreitung des Mönchtums und die Entstehung von Alternativkirchen (Messalianer, Paulikianer, Bogomilen) gesehen werden. Im Lauf der Zeit kam es zur Verschmelzung des Christentums mit antiker Kultur und Religion.

    Der trinitarische (arianische) Streit (318-381)

    Vorgeschichte (Monarchianischer Streit)

    Blicken wir kurz zurück: Den theologischen Hintergrund bilden die Aussagen von Johannes 1,1-14; Philipper 2,5-11; Römer 8,29; 2 Korinther 4,4; Kolosser 1,15; Johannes 14,17+26; 2 Korinther 13,13; Matthäus 28,19. Die Apologeten hatten die griechische Logosvorstellung (Weltvernunft, Weltgesetz) auf Christus übertragen. Damit wollten sie einerseits die Vernünftigkeit des christlichen Glaubens herausstellen, andererseits stand dann die Frage nach Präexistenz des Logos im Raum. Welche Eigenständigkeit kommt dem Logos (also Christus) vor der Menschwerdung zu? Gibt es eine Zwei- oder gar Dreiheit von Gottwesen? Gegen die Logos-Lehre der Apologeten standen die Monarchianer auf. Sie betonten die Einheit Gottes und lehnten jede weitere Spekulation ab. Allerdings spalteten sich die Monarchianer dann auch in zwei Richtungen auf: Der sogenannte dynamische Monarchianismus (kurz: Dynamismus, auch Adoptianismus genannt) und der modalistische Monarchianismus (kurz: Modalismus).

    Tertullian (Karthago, 150-230) hatte klare Begriffe geprägt: Una substantia – tres personae. In der einen „Substanz“ leben drei Personen, und doch ist Gott eine Einheit. Heilsgeschichtlich wird eine Dreiheit sichtbar.

    Origenes (Alexandria, 185-254) formulierte als erster eine immanente (schon immer bestehende, nicht nur heilsgeschichtliche) Trinitätslehre: Gott bringt den Sohn in einem ewigen Akt hervor. Aus Vater und Sohn geht der Geist hervor. Damit steht der Sohn unter dem Vater und der Geist unter dem Sohn (Subordinationismus). Für die drei Personen der Gottheit benutzte Origenes den Begriff „hypostase“, d. h. individuelle Wesenheit. Im Blick auf die Hypostase sind Sohn und Geist unterschieden vom Vater, im Willen sind sie eins.

    Der Begriff „Sohn“ beschreibt sowohl das, was mit Gott verbindet, als auch das, was von Gott unterscheidet. Dieser – noch vage – Begriff wollte definiert werden. Dazu benutzte man die Kategorien Substanz/Wesen/Natur und Ursprung. Inwiefern also hat der Sohn Anteil am Wesen des Vaters? Wann ist diese Teilhabe zustande gekommen – in der Ewigkeit, bei der Zeugung, bei der Geburt, bei der Taufe, bei der Auferstehung, bei der Himmelfahrt? Oder gehört Jesus wie wir Menschen zur von Gott erschaffenen Welt? Das Neue Testament macht deutlich, dass Jesus wie der Vater angebetet werden muss.

    Um 250 hatten die Adoptianer die Auffassung entwickelt, der Jesus bei seiner Taufe verliehene Geist sei Grund für die Adoption als Sohn Gottes. Sie hielten diese Ansicht für unumgänglich, weil ansonsten Gottes Einzigkeit und das wahre Menschsein von Jesus fragwürdig erschienen wäre.

    Die Doketisten (vom griech.: “dokeo“ – scheinen) waren zur Überzeugung gelangt, dass der Leib von Jesus nur ein Scheinleib gewesen sein kann. Sie wollten auch die Frage nach dem Gottsein Gottes beantwortet haben: Wird Gottes Einzigkeit nicht gefährdet, wenn neben ihm ein zweiter Gott auftritt?

    Der dynamische Monarchianismus verstand das Göttliche an Jesus als eine Kraft, die bestimmte Fortschritte machte und bei der Taufe durch Johannes zur Adoption von Jesus als Sohn Gottes führte. Gott ist nur einer, die Beziehung zwischen Vater und Sohn ist eine dynamische, nicht eine Beziehung des Wesens (Vertreter: Paul von Samosata – Bischof von Antiochien, 3. Jh.).

    Die modalistischen Monarchianer verstanden Vater und Sohn als zwei verschiedene Erscheinungsformen des einen Gottes. In der Konsequenz konnte diese Auffassung bis zur Identifizierung von Christus mit Gott-Vater führen (Vertreter: Noëtus, Praxeas, Sabellius).

    Noëtus (Bischof in Kleinasien, 3. Jh.) verneinte die personhafte Verschiedenheit von Vater und Sohn, denn Jesus musste Gott sein, weil sonst die Erlösung nicht göttlich war. Praxeas (2./3. Jh.) entwickelte eine Form des Modalismus, in der die Formulierung, dass der Vater selbst gelitten habe, vermieden wurde. Dazu erklärte er den Begriff „Sohn Gottes“. Er unterschied das Göttliche und das Leibliche in Jesus. Nur das Fleisch sei von Maria geboren, nur dieses Fleisch habe gelitten, nicht der Vater. Dieses Fleisch werde in der Bibel „Sohn Gottes“ genannt. Das Göttliche im Erlöser sei dagegen personhaft identisch mit dem höchsten Gott. Sabellius (aus Libyen?, 3. Jh.) beschrieb die personhafte Einheit Gottes in drei Masken bzw. Rollen (griech.: prosopa), die sich in der Heilsgeschichte nacheinander offenbarten. Diesem ökonomischen (heilsgeschichtlichen) Trinitarismus stand eine immanente (von Ewigkeit her in Gott selbst bestehende) Trinitätslehre gegenüber.

    Die Schwierigkeiten der bisher genannten Positionen liegen auf der Hand: Beim dynamischen Monarchianismus war Jesus im Vollsinn weder Mensch noch Gott. Der Modalismus sah vom geschichtlichen Bild Jesu völlig ab, wenn er die Unterschiede zwischen Vater und Sohn beseitigte.

    Der arianische Streit entstand an der Frage nach der Gottheit Jesu. Betonte man das Menschliche an Jesus, so drohte man dessen Einzigartigkeit zu verwischen. Dann konnte jeder, der ein vorbildliches Leben führte und als Märtyrer starb, als Erlöser gelten. Auf der Gegenseite erhob sich die Frage, ob nicht die Betonung der Göttlichkeit von Jesus der heidnischen Vielgötterei nahe kommt. Sind Gott-Vater und Gott-Sohn nicht bereits zwei Götter? Die Entwicklung der Trinitätslehre wurde beschleunigt durch das Auftreten des Priesters Arius.

    Weiterer Verlauf der Auseinandersetzung

    Der alexandrinische Priester Arius (260-336, von ihm erhielt der Streit seinen Namen) sprach sich dafür aus, dass Christus erschaffen wurde, es also eine Zeit gegeben hat, in der er nicht existierte. Damit unterschied sich Christus von Gott, egal wie vollkommen er auf dieser Erde lebte. Arius formulierte: „Gott war allein und es gab keinen Logos und keine Weisheit. Als aber dann Gott uns erschaffen wollte, schuf er zuerst den Einen und nannte ihn Logos, Weisheit und Sohn, damit er uns durch ihn schaffen sollte.“ Von Origenes übernahm er dessen Vorstellung des „einen Wesens (lat.: substantiae/griech.: hypostase) Gottes, aber der Sohn und der Geist hatten nur eine abgeleitete Gottheit. Ein mit dem Vater wesenseiner Sohn war für Arius undenkbar.

    Für die Gegner von Arius war klar, dass Arius Christus für einen bloßen Menschen hielt. Gegen Arius trat Bischof Alexander von Alexandrien auf, der das Geheimnis der Gottheit von Jesus gegen alle philosophischen Spekulationen verteidigte. Auf der Synode von Alexandrien 318/19 wurde Arius mit einigen Freunden verurteilt. Er flüchtete zu Bischof Eusebius von Nikomedien. Die Bischöfe im Osten unterstützten ihn, der Streit weitete sich aus. Da beschloss Kaiser Konstantin einzugreifen und lud ein zu einer Synode nach Nicäa 325, das sogenannte „Erste Ökumenische Konzil“. „Ökumenisch“ bedeutete damals: Die gesamte Reichskirche umfassend (im Gegensatz zu Regionalsynoden). Hier wurde ein älteres Bekenntnis angenommen, dessen entscheidende Aussagen lauteten: Der Sohn ist „aus dem Wesen des Vaters gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater“.

    Hier der Wortlaut des Bekenntnisses:

    „Wir glauben an einen Gott, den allmächtigen Vater, den Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren; und an einen Herrn Jesus Christus, den Sohn Gottes, der als Einziggeborener aus dem Vater gezeugt ist, d. h. aus dem Wesen (usia) des Vaters, Gott aus Gott, Licht aus Licht, wirklicher Gott aus wirklichem Gott, gezeugt, nicht geschaffen, wesenseins (homousion) mit dem Vater, durch den alles geworden ist, was im Himmel und auf Erden ist, der wegen uns Menschen und wegen unseres Heils herabgestiegen und Fleisch geworden ist, Mensch geworden ist, gelitten hat und am dritten Tage auferstanden ist, aufgestiegen ist zum Himmel, kommen wird, um Lebende und Tote zu richten; und an den Heiligen Geist.

    Diejenigen aber, die sagen: »es gab [eine Zeit], da er nicht war« und »er war nicht, bevor er gezeugt wurde«, und er sei aus Nichtseiendem geworden, oder die sagen der Sohn Gottes stamme aus einer anderen Hypostase oder Wesenheit, oder er sei geschaffen oder wandelbar oder veränderlich, die verdammt die katholische Kirche.“

    Der im Bekenntnistext verwendete Begriff „katholische Kirche“ meint noch nicht die römisch-katholische Kirche, wie sie sich später entwickelte, sondern beschreibt die damalige Mehrheitskirche, zu der die Ostkirche innerhalb des Imperium Romanum auch dazugehörte. Der griechische Begriff „homo usios“ (eines Wesens) entsprach etwa dem „Substanz-Begriff“ von Tertullian. Weil der Begriff zwischen „wesenseins“ und „wesensgleich“ lag, konnte man sich auf der Synode einigen. Für Arius und seine Anhänger war der Beschlusstext jedoch inakzeptabel. Sie verweigerten die Unterschrift und wurden verurteilt bzw. verbannt. Die Formulierung „eines Wesens mit dem Vater“ hatte in Nicäa die Bedeutung von „gezeugt, nicht geschaffen“, d. h., er meinte die volle Gottheit des Sohnes. Damals wurde nicht versucht, die Frage der göttlichen Einheit und der Verschiedenheit der Personen zu klären. Deshalb entstanden jetzt zwei neue Fragen:

    • Wie verhalten sich die verschiedenen göttlichen Personen zueinander?

    • Wie ist die bezeugte Gottheit von Jesus mit dem irdischen Jesus der Evangelien vereinbar?

    Die Entscheidung von Nicäa war für die meisten Bischöfe des Ostens (sie waren durch Origenes geprägt) eine Herausforderung, weil sie die Unterschiede zwischen den göttlichen Personen stärker betonten. Sie dachten im Grund arianisch.

    Der alexandrinische Bischof Athanasius (295-373) wurde zum theologischen Gegner dieser antinicänischen Christen. Er formulierte (in: Vier Reden gegen die Arianer, I.16):

    „Es ist also nicht unglaublich, dass Gott einen Sohn habe, die Zeugung seines eigenen Wesens. Und wir denken daher auch nicht an ein Leiden oder eine Teilung des Wesens Gottes, wenn wir von Sohn und Zeugung reden, sondern wir haben vielmehr diesen Glauben, indem wir das Echte, Wahre und Eingeborene an Gott erkennen. Da diese Wahrheit so herausgestellt und bewiesen ist, dass diese Zeugung aus dem Wesen des Vaters der Sohn ist, so ist es wohl niemand mehr zweifelhaft, sondern ganz klar, dass diese die Weisheit und das Wort des Vaters ist, in dem und durch das er alles erschafft und macht, und sie ist sein Abglanz, in dem er alles erleuchtet und sich offenbart, wem er will. Sie ist sein Ausdruck und Abbild, in dem er geschaut und erkannt wird, weshalb auch er und der Vater eins sind. Denn wer ihn sieht, sieht auch den Vater. Diese Zeugung ist Christus, in dem alles erlöst wurde, und in dem er die Schöpfung wieder erneuert hat. Da also der Sohn so beschaffen ist, so schickt es sich nicht, sondern ist gar sehr verhängnisvoll zu sagen, dieser sei ein Geschöpf aus dem Nichtseienden, oder „er war nicht, bevor er geboren wurde“. Denn wer sich über das, was dem Wesen des Vaters eigen ist, so ausspricht, der lästert wider den Vater selbst, indem er über ihn Ähnliches denkt, was er auch von seiner Zeugung zusammenspinnt und lügt.“

    Für Athanasius war die Göttlichkeit des Sohnes vor allem deshalb wichtig, weil nur so die Vollkommenheit der Erlösung schlüssig begründet werden konnte. Ein menschlicher Jesus konnte nicht genug tun und deshalb keine Erlösungsgewissheit schaffen.

    Seit 350 war Kaiser Konstantius Alleinherrscher im Gesamtreich und verhalf dem Arianismus zum Durchbruch.

    Die lehrmäßigen Hauptgruppierungen beim theologischen Dauerthema waren seit 325 folgende:

    • Radikale Arianer („Anhomöer“ – Anhänger der Wesensungleichheit),

    • Homoiusianer (Anhänger der Wesensähnlichkeit),

    • Homöer (Anhänger der Wesensgleichheit),

    • Homousianer (Anhänger der Wesenseinheit).

    Die meisten Anhänger hatte die zweite Gruppe. Dieser Flügel brachte an der Synode von Konstantinopel 353 eine Formulierung ein, welche die Gottheit des Sohnes weniger schroff formulierte.

    Während der Regierungszeit von Kaiser Julian (361-63) entspannte sich die theologische Streitlage und 362 kam es auf der Synode von Alexandrien zur Einigung: Gott ist ein Wesen in drei Hypostasen.

    Nach dem Tod von Kaiser Julian präzisierten drei Theologen aus Kappadokien durch genaue Begriffe das trinitarische Bekenntnis. Die vermittelnde Position dieser sogenannten Kappadokier (Basilius d. Gr., Gregor von Nyssa, Gregor von Nazianz) sah Vater und Sohn wesensgleich (homousios), aber im Sohn eine besondere Erscheinungsform des Vaters (hypostase). So wie drei Personen (Hypostasen) die gemeinsame Eigenschaft des Menschseins (Ousia) tragen können, so kann Gott seinem Wesen nach eins, seiner Erscheinung nach drei sein. Gelegentlich wird für diese Vorstellung der Vergleich des Wassers genutzt, das in drei unterschiedlichen Formen vorkommt: fest, flüssig und dampfförmig. Mit dieser Definition war die Grundlage für das Konstantinopolitanum von 381 geschaffen. In Nicäa war nur die Wesensgleichheit zwischen Vater und Sohn festgelegt worden, jetzt wurde der Heilige Geist ausdrücklich als gleich anbetungswürdig genannt.

    „Wir glauben an einen Gott, den allmächtigen Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde und alles Sichtbaren und Unsichtbaren;

    und an einen Herrn Jesus Christus, den Sohn Gottes, den Einziggeborenen, der aus dem Vater vor allen Äonen gezeugt wurde, Licht aus Licht, wirklicher Gott aus wirklichem Gott, gezeugt, nicht geschaffen, wesensgleich (homousion) mit dem Vater, durch den alles geworden ist,

    der wegen uns Menschen und wegen unseres Heils vom Himmel herabgestiegen und aus dem Heiligen Geist und der Jungfrau Maria Fleisch geworden ist und Mensch geworden und für uns gekreuzigt worden ist unter Pontius Pilatus und gelitten hat und begraben worden ist und am dritten Tage auferstanden ist nach den Schriften und aufgestiegen ist zum Himmel und sitzt zur Rechten des Vater und wieder kommen wird in Herrlichkeit, um Lebendige und Tote zu richten, dessen Herrschaft kein Ende haben wird;

    und an den Heiligen Geist, den Herrn und Lebensspender, der vom Vater ausgeht, der mit dem Vater und dem Sohn zusammen angebetet und gepriesen wird, der durch die Propheten gesprochen hat; an eine heilige, katholische und apostolische Kirche. Wir bekennen eine Taufe zur Vergebung der Sünden. Wir erwarten die Auferstehung der Toten und das Leben des kommenden Äons. Amen.“

    Der orientalische Teil der christlichen Kirche blieb von dieser Regelung unbefriedigt. Der Streit schwelte im Untergrund weiter und wurde mit Entschiedenheit jahrelang weitergeführt. Die theologischen Meinungsverschiedenheiten zwischen Ost- und Westkirche in der Trinitätsfrage wurden im Lauf der Geschichte immer tiefer.

    Wir haben bisher erst den Anfang der großen dogmatischen Auseinandersetzung bis 381 kennengelernt. Wir machen hier einen Schnitt, um uns einem neuen Thema zuzuwenden. Auf den Christologischen Streit kommen wir zurück. Die Übersicht zeigt den Verlauf der ganzen, über 250 Jahre dauernden, Auseinandersetzung. Am Ende stand die Erkenntnis, dass das Geheimnis um Jesus mit dem Verstand nicht fassbar ist, sondern nur paradox formuliert werden kann: Ungetrennt und unvermischt! Die folgende Grafik zeigt schon den weiteren Verlauf der Klärung. Zunächst behalten wir den „Trinitarischen Streit“ im Blick (s. Abbildung 31).

    Der christologische Streit

    Beim christologischen Streit ging es um die Frage, in welchem Zusammenhang die menschliche und die göttliche Natur in Christus stehen.

    In der christlichen Theologie benutzte man den aus der griechischen Philosophie vertrauten Begriff „Logos“, wobei die griechischen Philosophen unter diesem Begriff den bei der Schöpfung aus Gott herausgetretenen Weltgedanken bzw. die Weltvernunft verstanden. Christliche Theologen identifizierten Jesus Christus mit dem Logos, indem sie ihn als Abglanz der göttlichen Vollkommenheit und deshalb als ein Mittelwesen zwischen Mensch und Gott verstanden.

    Apollinaris von Laodizea († 390) betrachtete den Logos als Seele des Körpers (Fleischesleibd) von Jesus. Die Erwähnung der Seele von Jesus (Matthäus 26,38) ließ ihn zu einer Dreiteilung kommen: Vernunft, Seele und Fleisch. Bei Christus liegt nach seiner Meinung nicht die gleiche Art von Geschöpflichkeit vor wie bei anderen Menschen: Christus besaß den göttlichen Geist an Stelle der Vernunft. Die Einheit von Gott und Mensch in Christus wurde möglich, weil der Logos bei der Inkarnation sich der Göttlichkeit entäußerte. Kritisiert wurde Apollinaris, als er in Christus also ein Mittelwesen zwischen Mensch und Gott postulierte. Diese Erklärung schien ihm jedoch nötig, weil die zwei Naturen Christus ansonsten „zerrissen“ seien.

    Als um das Jahr 400 herum Gespräche über die christologische Frage Klärung schaffen sollten, wehrte sich die ägyptische und die griechische Kirche, an den Verhandlungen teilzunehmen.

    Diodor von Antiochien († 394) sah Christus ähnlich wie Apollinaris und bezeichnete den Logos als das göttliche Prinzip in Christus. Johannes Chrysostomos († 407) beharrte auf der Trennung von menschlicher und göttlicher Natur (gegen Apollinaris), da Leiden und Tod nicht von einem leidensunfähigen Gott erfahren werden können. Der Logos wohnte seiner Überzeugung nach im Menschen Jesus wie in einem Tempel. Sein Geistempfang geschah bei der Taufe. Die verborgene göttliche Natur gab der sichtbaren menschlichen Natur den Geist. Beide Naturen sind eine Einheit, aber unvermischt.

    Theodor von Mopsuestia († 428) vertrat die Trennungschristologie, machte aber Aussagen über die Art der Verbindung zwischen göttlicher und menschlicher Natur (griech.: Physis). Der Logos nimmt nicht nur den Leib, sondern den ganzen Menschen an. Wenn der Geist nicht betrübt wird, bewohnt er die Seele und dann den Körper eines Menschen und führt ihn zur Auferstehung. In Christus sind göttliche und menschliche Natur untrennbar miteinander verbunden, er ist eine Person in zwei Naturen.

    Nestorius (381-451), Bischof von Konstantinopel, ging davon aus, dass in Christus beide Naturen verbunden waren, Maria aber nur „zuständig“ war für die menschliche Natur. Aus diesem Grund lehnte er die Bezeichnung „Gottesgebärerin“ ab und billigte Maria nur den Titel „Christusgebärerin“ zu. Nicht einverstanden mit Nestorius waren die Mönche, denn sie neigten als Nachahmer von Christus zur monophysitischen Christologie, die Christus ganz erfüllt von der einen göttlichen Natur sah.

    Cyrill von Alexandrien († 444) betonte die Logospersönlichkeit: Der Logos selbst war Träger der Person in Christus und nahm bei der Inkarnation (Mensch-/wörtl.: Fleischwerdung) einen menschlichen Leib mit einer vernünftigen Seele an. Damit stand er als Alexandriner, deren theologische Zentrale in Alexandrien lag, den „Antiochenern“ gegenüber, so nannte man die Vertreter der theologischen Richtung mit Zentrum in Antiochien. Die Antiochener betonten grundsätzlich mehr das Menschsein und das Vorbild von Jesus, die Alexandriner betonten mehr die himmlische Dimension. Als Alexandriner betonte Cyrill die volle Herrschaft des göttlichen Logos über den beseelten Leib, blieb aber wie die Antiochener dabei, dass die beiden Naturen unvermischt und unwandelbar bestanden. Aus zwei Naturen ist also ein Christus entstanden (das ist nicht monophysitisch), die Einheit wird als Herrschaft des göttlichen Logos über die Menschennatur gedacht.

    Stellen wir die beiden Modelle noch einmal nebeneinander: Die Antiochener sahen in Christus einen von Gottes Geist durchströmten Menschen, Cyrill sah in Christus den Geist Gottes, der menschliche Gestalt angenommen hat. Innerhalb der christlichen Gemeinden fand die Ansicht Cyrills eine breite Anhängerschaft.

    Im Jahr 430 erklärte die römische Synode unter Leitung von Bischof Coelestin und eine darauf folgende Synode in Antiochia die Ansichten von Nestorius für ketzerisch. Im November 430 berief Theodosius II. das Konzil von Ephesus an Pfingsten 431 ein. Das Konzil konnte keine Einigung erzielen und brach auseinander. Nestorius wurde verurteilt. Im Frühjahr 433 wurde zwischen den Alexandrinern und den Antiochenern vereinbart, Christus sei nach seiner menschlichen Natur „gleichen Wesens mit uns“, die beiden Naturen seien „vereinigt“, Maria gelte als Gottesgebärerin. Wer Christus in zwei Personen teilte, galt fortan als „nestorianischer Ketzer“.

    Nach dem Tod Cyrills entzündete sich der Streit von neuem. Theodosius berief 449 erneut ein Konzil in Ephesus ein (bekannt als „Räubersynode“), wobei Dioskur die Leitung hatte, der Nachfolger Cyrills und Gegner der Kompromissformel. Man beschloss, die Glaubensformeln von Nicäa und Ephesus 431 gelten zu lassen, nicht aber die Kompromissformel von 433. Nach dem Tod von Theodosius II. musste ein weiteres Konzil einberufen werden. Dieses Mal tagte die Versammlung in Chalcedon 451, weshalb das dort ausgearbeitete Bekenntnis den Namen Chalcedonense erhielt.

    Verworfen wurde der Beschluss von 449 und zugestimmt wurde einer Formulierung, die weder nestorianisch noch monophysitisch ausgelegt werden konnte: Christus wird betont in seiner Einheit und darin differenziert. In Chalcedon wurden die Aussagen des Glaubens in Form einer paradoxen Formulierung festgehalten. Die Vernunft des Menschen kann nicht eindringen in das Geheimnis des Christus. Hier das Bekenntnis von Chalcedon:

    „Wir folgen also den heiligen Vätern und lehren alle einmütig, einen und denselben Sohn zu bekennen, unseren Herrn Jesus Christus. Derselbe ist vollkommen in der Gottheit und derselbe vollkommen in der Menschheit, derselbe wirklich Gott und wirklich Mensch aus einer vernünftigen Seele und einem Körper. Er ist vom Vater wesensgleich nach der Gottheit und derselbe uns wesensgleich nach der Menschheit, in jeder Hinsicht uns ähnlich, ausgenommen die Sünde. Vor aller Zeit wurde er aus dem Vater der Gottheit nach gezeugt, in den letzten Tagen aber wurde derselbe um unseret- und unseres Heiles willen aus der Jungfrau und Gottesgebärerin Maria der Menschheit nach geboren. Wir bekennen einen und denselben Christus, den Sohn, den Herrn, den Einziggeborenen, der in zwei Naturen, unvermischt, ungewandelt, ungetrennt, ungesondert geoffenbart ist. Keineswegs wird der Unterschied der Naturen durch die Einigung aufgehoben, vielmehr wird die Eigenart jeder Natur bewahrt, und beide vereinigen sich zu einer Person und einer Hypostase. Wir bekennen nicht einen in zwei Personen gespaltenen oder getrennten, sondern einen und denselben einziggeborenen Sohn, den göttlichen Logos, den Herrn Jesus Christus, wie vorzeiten die Propheten über ihn und Jesus selbst uns unterwiesen haben und wie es das Glaubensbekenntnis der Väter uns überliefert hat.“

    Die syrische Kirche konnte mit dem Chalcedonense nicht konform gehen und erkannte nur das Nicänum an. Später ging auch die ägyptische Kirche den Weg des Monophysitismus. Auch hier wollte man nicht über das Bekenntnis von 381 hinausgehen. Hauptgedanke dieser Kirchen blieb, dass in der Trinität nichts Geschaffenes vorhanden sein kann (weil Gott unwandelbar ist). Deshalb konnte sich die Natur des Logos bei der Menschwerdung nicht ändern. Der Logos durchdringt den Menschen Jesus so stark, dass radikale Denker nicht mehr von zwei Naturen sprechen wollten. Ja, der Logos war Mensch geworden, ohne den Vater zu verlassen, er hatte nur zusätzlich vom Menschen Besitz ergriffen. So konnte sich der monophysitisch denkende Christ auch ganz von Christus umfangen fühlen, eine Mystik war möglich, die in der emotionalen Fülle des Augenblicks das Vereinigtsein mit Christus erleben konnte. Jesus ist als Mensch mit uns wesenseins, als Logos mit dem Vater wesenseins. Die Jahre nach Chalcedon zeigten, dass der Riss zwischen Ost und West nicht mehr überbrückbar war.

    Vertiefung

    1. Welche Vorteile hat die Glaubensfreiheit heute? Gibt es auch Nachteile?

    2. Wie sollte nach Ihrer Meinung das Verhältnis von Kirche und Staat geregelt sein?

    3. Bewerten Sie die Konsequenzen der Entscheidung in der Donatistenfrage für die weitere Entwicklung der Kirche in Nordwestafrika.

    4. Versuchen Sie, die Abbildung 31 auszuwerten. Sind theologische Fragen nach der Dreieinigkeit notwendig? Was ist ihre persönliche Meinung? Wie würden Sie einem Nichtchristen den christlichen Gott erklären?

    5. Wie weit darf menschliches Fragen nach dem „Geheimnis Gottes“ gehen?

    6. Das Bekenntnis von Chalcedon – hilfreich oder schwammig? Was ist Ihre Meinung?

    7. Wer ist Jesus Christus für Sie? Beschreiben Sie Ihr Grundverständnis mit eigenen Worten

    F Verfolgung von Christen: Warum hat dieses Thema durch 2000 Jahre nicht an Aktualität verloren? (F)

    K Welche Gruppen verneinen heute, dass Jesus wahrer Gott und wahrer Mensch ist? (K)

    • Offizieller Beitrag

    Das Mönchtum, die Völkerwanderung und Augustin

    Das Mönchtum als Antwort auf die Verflachung in der Volkskirche. Die Völkerwanderung. Die Gründe für die wachsende Trennung zwischen West- und Ostkirche. Augustin – der große Theologe des Westens.

    Lernziele

    1. Sie lernen die Ausbreitung des Mönchtums als Antwort auf die Verflachung der Volkskirche kennen.

    2. Die erhalten einen Überblick über die Völkerwanderung und der Zerbruch des Römischen Reiches.

    3. Sie lernen das Leben und Wirken des Kirchenvaters Augustin als Vertreter der westlichen Theologie kennen.

    4. Sie erfahren die Gründe, warum West- und Ostkirche immer stärker getrennte Wege gehen und worin die Gründe für diese Entwicklung liegen?

    Das Mönchtum

    Allgemeine Einleitung

    Innerhalb der christlichen Kirche war die Askese nicht neu. Immer wieder zogen sich Gläubige zurück, um zu fasten und zu beten. Zum eigenständigen Mönchtum wurde die Askese erst, als sie die dauernde soziale Trennung von der großen Masse vollzog. Zunächst zogen Einzelpersonen, wie etwa Antonius (um 250 in Mittelägypten geboren), in die Einsamkeit („Mönch“ vom Griech.: „der Einsame“). Antonius hat seine Erfahrungen als Einsiedler ausführlich dokumentiert. Die in die Einsamkeit ziehenden Einzelmönche nennt man Eremiten oder Anachoreten. Das Motiv ihres Weggangs in die Einsamkeit war, den Kampf mit dem „Fleisch“ und den Dämonen aufzunehmen und so zum reinen Leben in der Gemeinschaft mit Gott vorzudringen. Der Eremit wollte näher bei Gott leben und dabei sollte er auch die Gemeinde vertreten.

    Daneben sammelten sich Mönche in Gruppen, die Schüler um sich scharten. Die gemeinschaftlich lebenden Mönche werden Koinobiten genannt. Das klösterliche Leben wurde etwa 320 durch Pachomius (292-346) historisch fassbar begründet.

    Insgesamt verdankt die Kirche dem Mönchtum entscheidende Impulse, z. B. Bibelüberlieferung, Theologie, Bildungs- und Schulwesen, Krankenpflege und Forschung. Im Lauf der Jahrhunderte kam es immer wieder zu neuen Ordensgründungen, die versuchten, besonderen Herausforderungen ihrer Zeit zu begegnen (Missionsorden, Bettelorden). Die Gemeinschaften mit fester Ordnung und intensivem Frömmigkeitsleben erwiesen sich als widerstandsfähig, einsatzbereit, kreativ und beweglich. Gelegentlich kam es zu Entgleisungen in ungesunde und schwärmerische Bahnen.

    Die Abbildung 32 zeigt Entstehung, Ausbreitung, Vielfalt und Hauptpersonen des Mönchtums in geografischer und zeitlicher Zuordnung bis zum 7. Jahrhundert.

    Die rasche Ausbreitung des Mönchtums im 4. Jahrhundert lässt sich als Antwort auf die geistliche Verflachung der großen Kirche verstehen.

    Das Mönchtum breitete sich von Ägypten her vor allem im Bereich der Ostkirche aus. Ihre besondere Prägung erhielten die ostkirchlichen Klöster durch Basilius von Caesarea (303-379). Sie entstanden zunächst in relativer Freiheit und siedelten oft in Stadtnähe an. Der diakonische Gedanke war im ostkirchlichen Mönchtum wichtig. An der 4. Ökumenischen Synode in Chalcedon (451) wurden die Klöster stärker in die Kirchenorganisation eingebunden: Einzelklöster wurden dem jeweiligen Lokalbischof unterstellt. Daneben griff aber auch der Kaiser immer wieder unmittelbar ins klösterliche Leben ein. Einige Zeit später erfuhr die ostkirchliche Klostertradition durch Theodor Studites († 826) eine weitreichende Reform. Ihm war das Gemeinschaftsleben besonders wichtig, der einzelne Mönch ging praktisch in der Gemeinschaft unter. Kennzeichnend für die Ostklöster blieb ihre Konzentration auf diakonische Arbeit.

    Im Westen entstand das klösterliche Leben nicht nur deutlich später, es fehlte auch eine einheitliche Struktur. Erst Benedikt von Nursia (480-547, s. Abbildung 33) gründete 529 ein Kloster auf dem Monte Cassino und stellte die nach ihm benannte Benediktinerregel (Regula Benedicti) auf. Sie wurde im 8.-12. Jahrhundert zum Standard für westliche Klöster. Typisch für diese Regel war die Ortsgebundenheit, das Gelübde und der Gehorsam gegenüber dem Abt. Der Benediktinerorden hat enorme Kulturarbeit geleistet, die nach dem Motto „ora et labora“ viel Gutes für die Umgebung brachte. Jene Zeit ist ohne den Einfluss des Mönchtums überhaupt nicht zu verstehen. Das Bildungswesen lag fast völlig in der Hand von Klöstern. Mitunter kam es zu Spannungen zwischen Kirchenleitung und Kloster, denen man am Konzil (452) begegnen wollte. Unter der Aufsicht von Bischöfen wurden nun die Klöster zu Orten einer höheren Stufe der Ethik. Im Unterschied zu den ostkirchlichen Klöstern siedelten die westlichen Mönche eher in Distanz zur Zivilisation, hier stand der Gedanke der Stille im Vordergrund.

    Zu den kirchengeschichtlich bedeutenden Förderern des Mönchtums gehören Athanasius (295-373), Gregor von Nazianz (330-390), Hieronymus (345-420), Johannes Chrysostomos (345-407), Basilius d. Gr. (330-379, Begründer der für die Ostkirche verbindlichen Mönchsregel) und Benedikt von Nursia.

    Zur Vertiefung eignet sich: Hans Urs von Balthasar, Die großen Ordensregeln, Einsiedeln, Johannes-Verlag 1994

    Der Teilung des Römischen Reiches und die Völkerwanderung

    Politische Lage im Römischen Reich

    Theodosius übernahm die Herrschaft über das Römische Reich als 33 Jähriger. Der alte Grenzverlauf war nicht wieder herzustellen, aber Theodosius nutzte die Möglichkeit, die Goten im Donauraum anzusiedeln und durch Verträge als Schutztruppe in den Dienst des Reiches zu stellen. Der Tod von Theodosius (395) bedeutete einen Wendepunkt, das Imperium brach politisch definitiv auseinander in ein ost- und weströmisches Reich. Im Osten hielt sich der Römerstaat durch eine wechselvolle Geschichte noch über ein Jahrtausend, während im Westen die Germanen einfielen und eine Auflösung der Reichskirche bewirkten (Reichskirche meint die Mehrheitskirche, die sich bis dahin reichsumfassend an den großen Konzilien getroffen und die dort gefällten Entscheidungen befolgt hatte). Nach dem politischen Niedergang des Westreiches konnte nur die Stärkung der Position des römischen Bischofs die westliche Kirche vor der Zersplitterung bewahren. Zudem wuchs der Bischof von Rom in eine politische Machtstellung hinein. Er war die Konstante im zerfallenden Westreich.

    Die Völkerwanderung

    Seit dem Ende des 4. und dem Beginn des 5. Jahrhunderts n. Chr. brach über den Westen die „Völkerwanderung“ herein. Von den aus dem Osten heranrückenden Hunnen vorwärtsgetrieben, bewegten sich Völker und Ethnien in Richtung Westen. Sie lösten eine Migrationsbewegung mit bis dahin unbekanntem Ausmaß aus. Ebenso schoben die Völker nördlich des Römischen Reiches (heutiges Frankreich, Deutschland) ihre Posten auf römisches Gebiet vor. Die Gründe für deren Südbewegung werden in klimatischen Veränderungen, Überbevölkerung, Missernten und Hungersnöten vermutet. Als Folge der Völkerwanderung änderten sich nicht nur die Siedlungsgebiete größer Stämme, vielmehr ging das Römische Reich unter, genauer das Westreich.

    Der Einfall der Hunnen

    Die Hunnen, ein schlagkräftiges, mongolisches Reitervolk aus Zentralasien, drangen 375 n. Chr. über die Wolga in den Balkan ein, wo sie das Reich der Ostgoten in der Region der heutigen Ukraine zerstörten. Während die Ostgoten von den Hunnen unterworfen wurden, verließen die westgotischen Stämme ihre Siedlungsgebiete an der Mündung der Donau. Sie erhielten zunächst das Einverständnis des römischen Kaisers Valens, um sich auf römischem Reichsgebiet anzusiedeln und sich so in Sicherheit zu bringen. Doch bald schon führte der Migrationsdruck der vordringenden Westgoten zur offenen Auseinandersetzung mit Rom. Als die Römer die eindringenden Westgoten zwei Jahre lang hinhielten und ihnen Siedlungsgebiete verweigerten, eroberten die Westgoten 378 n. Chr. das Land mit Waffengewalt und drangen unter ihrem König Alarich weiter nach Süden vor. Im Jahr 410 belagerten und plünderten sie schließlich die Stadt Rom. In den folgenden Jahren zogen die Westgoten weiter und begründeten ihr Herrschaftsgebiet auf französischem und spanischem Boden, wo sie sich von der Loire bis zur Meerenge von Gibraltar niederließen.

    Innerhalb weniger Jahrzehnte wurde die europäische Landkarte völlig verändert. Kelten, Germanen und Slawen gingen auf die Suche nach neuen Siedlungsräumen. Sie annektierten Landstriche, die ihrerseits von den ursprünglichen Bewohnern verlassen wurden, um sich in Sicherheit zu bringen. Die Vandalen, ihrerseits aus Gebieten östlich der Oder nach Gallien und Spanien vorgedrungen, wichen den einwandernden Goten nach Nordafrika aus. Dort eroberten sie unter ihrem Anführer Geiserich Karthago, damals die Kornkammer Roms, und kontrollierten somit die Getreidezufuhr nach Italien. Sie beherrschten das westliche Mittelmeer und kehrten nach Rom zurück, das sie im Jahr 455 belagern und plündern konnten.

    Die Schlacht auf den katalaunischen Feldern

    Während das Römische Reich (nach Kaiser Theodosius 395 n. Chr. unter seinen beiden Söhnen Arcadius und Honorius in West- und Ostrom geteilt), im Niedergang begriffen war, erstarkten die germanischen Völkerschaften. Aus kleinen Stammesgruppen bildeten sich allmählich Völker heraus: Neben den Goten zum Beispiel die Alemannen, Franken, Vandalen, Burgunder, Thüringer und Sachsen. Die römischen Einwohner versuchten unter der Leitung fähiger Feldherren, durch wechselnde Koalitionen die vordringenden Volksgruppen gegeneinander auszuspielen. Berühmt geworden ist der römische Anführer Aetius, der mit Hilfe des gefürchteten Hunnenkönigs Attila 443 n. Chr. erfolgreich gegen die Burgunder vorging. Die Burgunder, ursprünglich aus östlicher Gegend nicht weit vom heutigen Berlin entfernt herkommend, hatten sich in der Gegend von Worms und Mainz niedergelassen und dort ihr eigenes Reich gegründet. Nach der siegreichen Schlacht siedelte Aetius die Überlebenden der burgundischen Stämme im oberen Rhônetal an, einem Gebiet, das daraufhin ihren Namen annehmen sollte – und ihn bis heute behalten hat.

    Nur wenige Jahre später führte Attila die Hunnen im Kampf gegen Gallien. Aetius stellte ihm ein Heer aus den römischen Bewohnern Galliens und Westgoten entgegen. 451 n. Chr. kam es zur großen Schlacht auf den katalaunischen Feldern in der Nähe von Paris: Die Hunnen wurden durch Aetius und seine germanischen Verbündeten vernichtend geschlagen.

    Theoderich der Große: Gotischer Herrscher auf dem römischen Thron

    Während die Vormacht der Hunnen endgültig gebrochen war und die Reiterheere sich nach Osten in die heutige Gegend von Ungarn zurückzogen, waren die nach Westen orientierten Migrationsströme der Germanen immer noch aktiv. Ihre Söldnerführer hatten am weströmischen Kaiserhof längst Einfluss gewonnen. Schließlich rissen sie die Macht an sich. Odovakar setzte 476 n. Chr. den letzten römischen Kaiser Romulus ab und ernannte sich selbst zu dessen Nachfolger. Das antike Rom war endgültig zerfallen.

    Am oströmischen Hof machte sich daraufhin der junge König der Ostgoten Theoderich bereit, im Auftrag des oströmischen Kaisers Zenon gegen Odovakar nach Italien zu ziehen, um diesem die Herrschaft über das ehemalige Westrom zu entreißen. Theoderich hatte von Kind auf als königliche Geisel in der Obhut des oströmischen Hofes eine hervorragende Erziehung genossen und war in alle Bereiche der römischen Verwaltung, Politik, Kultur sowie ins Militärwesen eingeführt worden. Es gelang ihm, 493 n. Chr. Odovakar zu besiegen. Als vom oströmischen Kaiser ernannter Statthalter über das westliche Rom konnte er in der Folgezeit seine Herrschaft über Italien festigen. Theoderich bekam den Beinamen „der Große“. Er bemühte sich um Rechtssicherheit und Ausgleich zwischen italienischen und gotischen Bevölkerungsgruppen. Er betrieb Straßenbau, förderte den Ausbau der Infrastruktur und tolerierte eine Vielzahl von Religionen.

    Auf dem Gebiet des ehemaligen römische Westreichs entstanden Staatengebilde, die religiös teils heidnisch-germanisch, teils arianisch (durch Missionierung) geprägt waren.

    Um 500 war von der römischen Herrschaft im Westen nichts mehr vorhanden. Der Frankenkönig Chlodwig beseitigte 486 die letzten Überreste der Römerherrschaft, indem er das nördliche Gallien (unter Syagrius) besiegte.

    Die Karte (Abbildung 34) zeigt Herkunft und Wanderungsbewegung der unterschiedlichen Stämme. Es ist schwierig, die ursprünglichen Siedlungsgebiete und das Ziel der Wanderung genau zu bestimmen. Die Grafik lehnt sich an die Darstellung in dtv-Atlas zur Weltgeschichte, Hrsg. Hermann Kindler/Werner Hilgemann, Köln 1976, 12. Aufl. an.

    Die Abbildung 35 zeigt die großen Völkergruppen, die sich in den Jahrzehnten nach der Völkerwanderung herausbildeten. Auch hier handelt es sich um eine grobe Übersicht.

    Augustin (354-430)

    Einer der größten kirchlichen Denker prägte diese Zeit des Umbruchs in der westeuropäischen Welt: Augustin (354-430, s. Abbildung 36), der große Theologe der Westkirche. Die Reichsteilung von 395 hatte eine unterschiedliche Entwicklung im Westen und Osten zur Folge. Konstantinopel (alternativ: Byzanz, der alte Name der Hauptstadt des Oströmischen Reiches) war zur Metropole der östlichen Reichshälfte aufgestiegen und konnte mit Erfolg die herandrängenden Völker abwehren. Ins weströmische Reich (Hauptstadt zunächst Mailand, dann Ravenna) drangen gotische, bzw. germanische Völker ein. Augustin war Zeitzeuge dieser gewaltigen Umwälzungen. In seinem Todesjahr war sein Wirkungsort Hippo Regius bereits von Vandalen belagert. Neben den politischen Herausforderungen standen theologische: Die Auseinandersetzung mit den Donatisten, deren Name von Donatus kommt, dem Führer der afrikanischen Kirche, der sich für eine heilige Kirche einsetzte und Weihehandlungen von Geistlichen nicht anerkannte, wenn sie nicht moralisch einwandfrei lebten, und mit Pelagius, einem Theologen, der hinsichtlich des freien Willens ein andere Ansicht vertrat als Augustin.

    Stationen seines Lebens

    Aurelius Augustinus wurde 354 in Thagaste in Nordafrika geboren. Der Vater Patricius war nicht gläubig, während die Mutter Monica Christin war. Die eigene Mutter war Vorbild und Problem zugleich. Augustin begann das Studium in Karthago mit dem Berufsziel des Rhetors (Redekunst, meist waren Rhetoren in der Politik tätig). Zwei Dinge fesselten sein Leben: Das Theater und die Sexualität.Zum besseren Verständnis der Biografie von Augustinus wird die Lektüre seines Werkes „Die Bekenntnisse“ empfohlen.

    Mit 19 Jahren wurde er Vater eines Sohnes (Adeodatus), hervorgegangen aus der Beziehung zu einer Geliebten. In seine 20er Jahre fielen erste Schritte hin zur Bibel, die ihm aber verschlossen blieb. Besonders das Alte Testament machte ihm Probleme. Die kirchliche Frömmigkeit konnte ihn nicht überzeugen. In diese Zeit des Suchens fiel auch die Begegnung mit dem Manichäismus, einer philosophischen Form des Christentums mit gnostischen Grundzügen. Beeindruckt war Augustin vom Gedanken, dass die Seele des Menschen, von Natur aus an die materielle Leiblichkeit gebunden, durch Verzicht auf geschlechtlichen Verkehr und Einhaltung von besonderen Speisevorschriften den Weg der Erlösung in die göttliche Lichtwelt finden kann.

    Von Faustus, einem Bischof der Manichäer, war Augustin zunächst beeindruckt, später verfasste er eine Schrift gegen ihn. In Mailand begann der innere Loslösungsprozess vom Manichäismus (ab 384). Er konnte nicht mehr daran glauben, dass Gott von seinem Gegenspieler ernsthaft in Gefahr gebracht werden kann. Vom Neuplatonismus übernahm er die Sicht, dass das Böse keine eigene Größe ist, sondern nur ein Mangel an Sein, bzw. der Raub des Guten. Zudem beeindruckten ihn die Predigten des Mailänder Bischofs Ambrosius. Dessen allegorische Auslegung der Bibel führte ihn zur Überwindung der Menschlichkeit seines bisherigen Gottesbildes. Gott konnte ein rein geistiges Wesen sein.

    Zugleich wuchs die Erkenntnis, dass man Glauben und Erkennen nicht aus sich selbst heraus kann, sondern nur aus dem Rückgriff auf die Gottesoffenbarung in der Heiligen Schrift. Ein eigentliches Bekehrungserlebnis (386) brachte Augustin zu einem neuen Lebensabschnitt: Er bejahte die Askese (beeindruckt von Antonius, Römer 13,13) und verzichtete auf Heirat und Karriere. Fortan sollte sein Leben Gott gehören und in dessen Dienst stehen. 387 empfing er die Taufe durch Ambrosius. Mit den „Confessiones“ (dt.: Bekenntnisse) verfasste Augustin 397/98 die bedeutendste Selbstbiografie des Mittelalters. In der dann folgenden Periode seines Lebens beschäftigte sich Augustin mit dem Problem des Bösen und Guten im Blick auf seine eigene Seele. Die menschliche Seele musste seiner Überzeugung nach unsterblich sein. Indem der Mensch rein geistige Wahrheiten erkennen kann, nimmt er an der Ewigkeit dieser Wahrheiten teil. Gott ist der Schöpfer der (guten) Welt, aber es gibt eine Abstufung im Guten.

    Augustin erkannte mit Ambrosius auch die Notwendigkeit der kirchlichen Autorität. Die nächste Station seiner inneren Entwicklung führte zu Paulus und damit zur Erkenntnis, dass das Böse nicht ein Prinzip ist, wie es die Manichäer lehrten, sondern im Innern des Menschen, in seiner Auflehnung gegen Gott wurzelt. Zunächst arbeitete er in der Kirche in Hippo Regius mit, einer antiken Küstenstadt im heutigen Ostalgerien. Dann wurde er Leiter der Gemeinde. Inzwischen hatte er zum freien Willen des Menschen durch das Studium des Römerbriefs eine neue Sicht gewonnen: Den freien Willen als autonome Möglichkeit, sich für oder gegen Gott zu entscheiden, gab es für ihn nicht.

    Theologische Eckpunkte

    Christliche Lehre

    Augustin hat wohl als erster Theologe eine ausführliche Darlegung der Grundsätze einer geordneten Bibelauslegung (Hermeneutik) formuliert. Vom Leser forderte Augustin, dass er sich der Heiligen Schrift unterstellt. Schwierige Stellen sollen mit der durch weniger schwierige Stellen gewonnenen Klarheit erklärt werden. Den Umfang der kanonischen Schriften sollte man von der Mehrheitskirche übernehmen: 1-5 Mose, Josua, Richter, Rut, 1/2 Samuel, 1/2 Könige, 1/2 Chronik, Hiob, Tobith, Esther, Judith, 1/2 Makkabäer, Esra, Nehema, Psalmen, Sprüche, Hohelied, Prediger, Hose, Joel, Amos, Obadja, Jona, Micha, Nahum, Habakuk, Zefania, Haggai, Maleachi, Weisheit, Sirach, Jesaja, Jeremia, Hesekiel, Daniel (insgesamt 44 Bücher). Das NT entsprach dem, das auch wir kennen. Für unbekannte Begriffe sollte der Sprachkundige die Ursprachen nutzen, wer die alten Sprachen nicht beherrscht, vergleicht unterschiedliche Übersetzungen. Die Erklärungen christlicher Fachleute waren für Augustin eine wichtige Grundlage der Bibelauslegung. Wo es um Sachfragen geht, kann man auch die Werke von Nichtchristen heranziehen. Bleiben Zweifel über das Verständnis einer Bibelstelle bestehen, hat das kirchliche Lehramt die letzte Entscheidung. Augustin betonte, dass beim Lesen der Bibel auch unterschiedliche Stilrichtungen beachtet werden müssten. Wenn in der Bibel von Gott und Gläubigen Schandtaten beschrieben werden, dann liegt eine bildliche Redeweise vor, die sorgfältig ausgelegt werden muss. Für christliche Verkündiger empfahl Augustin die Aneignung rhetorischer Fähigkeiten aus der säkularen Wissenschaft.

    Die Kirche

    Augustin erkannte innerhalb der sichtbaren Anstalt Kirche die Gemeinschaft der wirklich Berufenen (lat.: communio sanctorum). Diese Gemeinschaft der Heiligen umfasste für ihn auch die schon verstorbenen Gläubigen. Die wahren Gläubigen wandern als Fremdlinge durch diese Welt der ewigen Heimat entgegen. In seinem Werk „De civitate Dei“ (dt.: Vom Gottesstaat, s. Abbildung 37) sah Augustin die ganze Menschheitsgeschichte unter dem Kampf zweier Bürgerschaften: denen, die Gott lieben und denen, die Gott hassen. In seinen Worten: Civitas Dei, der Herrschaftsbereich Gottes und Civitas Diaboli, der Herrschaftsbereich des Teufels) Das irdische Abbild dieser beiden Reiche sind Kirche und Staat, aber die irdische Kirche ist nicht identisch mit der „Civitas Dei“. Der Staat ist grundsätzlich notwendig, um Frieden und Gerechtigkeit unter den Menschen zu gewährleisten.

    Freier Wille

    Der sogenannte Pelagianische Streit (411-431) entstand, als Pelagius (brit. Mönch, 350-420) mit seinem Freund Caelestius (beide vertraten die gleichen Ansichten, später wird nur noch von Pelagius gesprochen) von Rom aus nach Karthago kam. Pelagius zog weiter nach Jerusalem, aber zwischen Caelestius und Augustin kam es zur Auseinandersetzung um das Problem der Erbsünde und der Möglichkeit, sündlos zu leben. Caelestius vertrat die Ansicht, kleine Kinder seien unschuldig und die Taufe müsse bei ihnen keine Erbsünde abwaschen. Die Synode in Karthago (411) verurteilte Caelestius. Pelagius lehrte, dass die Gottebenbildlichkeit durch den Sündenfall verloren gegangen sei, in der Taufe aber wieder hergestellt werde. Von da ab könne der Mensch gerecht leben, wenn er nur wolle. Der Mensch könne also sein Heil durch eigenes Tun erreichen. Augustin widersprach der Lehre vom freien Willen, indem er die Erbsündenlehre begründete. Der Mensch war demzufolge mit Adam von Gott abgefallen und nicht mehr in der Lage, nicht zu sündigen. Die Gnade Gottes allein kann den Menschen aus dieser Lage retten. Wenn beim Heilsgeschehen auch nicht sauber zwischen Gottes und menschlichem Handeln zu trennen ist, so ist der Anteil Gottes auf jeden Fall größer („unwiderstehliche Gnade“).

    Die Idee der Erwählung kam nun ins Spiel und schuf Raum für weitere Diskussionen. Pelagius konnte im Osten durch zwei Synoden Unterstützung finden (415). Auch Bischof Zosimus (Rom, † 480) stellte sich auf die Seite von Pelagius, was die Nordafrikaner zu heftigem Protest veranlasste. Kaiser Honorius (395-423) war hingegen von der Richtigkeit der Argumente Augustins überzeugt. In Rom nahm man die kaiserliche Auffassung an und Pelagius wurde 418 während der Synode von Karthago verurteilt. Der Streit zog sich aber hin, weil jetzt abgewandelte Formen vertreten wurden, der so genannte Semipelagianismus (Vertreter: Julian von Eclanum, Johannes Cassianus, Vincentius von Lerinum). Im Semipelagianismus (von „semi“ – halb, wörtlich: Halbpelagianismus) wirken göttliche Gnade und freier Wille des Menschen zusammen, wobei die Gnade nicht unwiderstehlich ist und Gott niemanden zur Verdammnis vorherbestimmt. Erst auf der Synode von Orange (529) wurde auch der Semipelagianismus verurteilt.

    Sünde und Gnade

    Augustin setzte sich intensiv mit dem Verhältnis von Schuld und Erlösung auseinander. Seiner Überzeugung nach hatte der Mensch im Anfang die Freiheit, nicht zu sündigen und die Gabe, nicht sterben zu müssen. Durch die Wahl des Bösen verlor er diese Freiheit und fiel in Sünde. Die grundlegenden Kennzeichen der Sünde waren für ihn Überheblichkeit und Begehrlichkeit. Sie wird als Anlage von Generation zu Generation vererbt und im jeweils einzelnen bewusst bestätigt. Die Menschheit steht unter dem Zwang, sündigen zu müssen. Unser Wille ist nicht in der Lage die Forderung Gottes (Gesetz) zu erfüllen. Das Gesetz kann nur überführen. Gottes Gnade allein kann Befreiung schaffen. Die Gnade hatte für Augustin zwei Aspekte: Vergebung und Gerechtmachung. Im Glauben befähigt die Gnade zu guten Werken, am meisten aber zur Liebe. In späteren Jahren konnte Augustin von der unwiderstehlichen Gnade sprechen und eine Prädestinationslehre (Lehre von der Vorherbestimmung) formulieren.

    Die Dreieinigkeit Gottes

    Allein zum Thema Trinität hat Augustin 15 Bücher geschrieben. Es stand für ihn fest, dass Vater, Sohn und Heiliger Geist wesensgleich sind. Es sind drei Personen, aber ein göttliches Wesen. Augustins Vorstellung entspricht am ehesten der eines Dreiecks mit Analogie und Nicht-Analogie. Die trinitarische Sicht teilte Augustin mit dem Konzil von Nicäa. Christologisch hat Augustin den irdischen Jesus etwas in den Hintergrund treten lassen. Drei „Bestandteile“ seien in Christus, die zwei Naturen angehören: Seele (anima) mit Verstand und Fleisch (carne) und Deo, die göttliche Natur. In der Inkarnation (nicht in der Auferstehung!) vollbrachte Jesus die Durchbrechung des Todes; er nahm Anteil an unserer Sterblichkeit, um uns Anteil an Gott zu geben. Erlösung ist Aufstieg der Einzelseele zu Gott. Dieser Weg wird begleitet durch die Gnade Gottes und „Gnadeneingießungen mittels der Sakramente“, die von der Kirche verwaltet werden.

    Augustin wurde der große Westtheologe, der in lateinischer Sprache schrieb und durch sein umfassendes Schaffen und seine Gründlichkeit das theologische Denken im Westen für Jahrhunderte prägte. Sein breites theologisches Schaffen ließ kaum ein Thema unbearbeitet. Wegweisend wurde seine Zwei-Reiche-Lehre, weil sie Christen Orientierung bot, als die staatliche Macht kaum mehr ordnende Funktion hatte. Für Luther ist die Sünden- und Gnadenlehre von Augustinus zur Ausgangsbasis der Rechtfertigungslehre geworden.

    Die Entwicklung im Osten

    Kirche in Westasien

    Als Ergebnis der christologischen Auseinandersetzungen wurde die Kirche in Westasien in drei Richtungen gespalten: Im westlichen Teil Westasiens war die chalcedonensische Orthodoxie verbreitet. Im mittleren Westasien hing die Mehrheit der Christen dem Monophysitismus an. Die Christen im östlichen Westasien (Persien, Arabien, Indien und Mittelasien) waren Anhänger des Nestorianismus (s. u.). Nachfolgend eine paar regionale Streiflichter, die etwas von der Dynamik der Kirchen in den östlichen Regionen außerhalb des Römischen Reiches deutlich machen.

    In Antiochia formierte sich die neue Zentrale einer selbstständigen syrisch-orthodoxen, nicht-chalcedonensischen Kirche. In Alexandria entstand die Koptisch-Orthodoxe Kirche, von der die Nubische Kirche (heute: Sudan) abhängig war. Die Armenisch-Apostolische Kirche war zwar schon um 300 entstanden, verlor ihre Selbstständigkeit, bis sie 505/506 wieder Position in einer anti-chalcedonensischen Aussage bezog. Im 8. Jh. kam es dann zur Verständigung mit der Syrisch-Orthodoxen Kirche.

    In Indien sind frühe christliche Gottesdienste bezeugt. 345 ließ Kaiser Konstantius eine Gesandtschaft u. a. nach Indien reisen. Diese Gesandtschaft berichtete von indischen Gottesdiensten und syrischen Gewohnheiten bei den Christen Indiens. Für das 5. Jahrhundert ist die Teilnahme indischer Christen am Leben der ostsyrischen Kirche Persiens bezeugt. Für die Christen im Süden Indiens verwendet man heute noch den Namen „Thomas-Christen“, um daran zu erinnern, dass der Apostel Thomas dort als erster das Evangelium verkündete.

    Spätestens um das Jahr 300 wurde in Armenien eine Staatskirche gegründet, die anfangs noch aus dem Westen und durch die syrische Kirche beeinflusst war. Als 406 durch Mesrop Maschtots (360-440) das armenische Alphabet geschaffen wurde und die armenische Sprache zur Schriftsprache wurde, war die Voraussetzung zu einer armenischen Identität geschaffen. 435 erschien eine armenische Bibelübersetzung.

    In Georgien verlief die Entwicklung ähnlich wie in Armenien. Die griechische Kirche hatte das Evangelium nach Westgeorgien gebracht. Am Konzil von Nicäa ist die Teilnahme eines Gesandten aus Westgeorgien bezeugt. Ostgeorgien wurde 330 von einer Frau namens Nino (325-361) missioniert, die dem georgischen König die christliche Botschaft brachte, worauf dieser Christ wurde. Auf die Bekehrung des Königs hin wurde in Georgien das Christentum zur Staatsreligion.

    Die „nestorianische Kirche“

    Schon früh waren christliche Gemeinden jenseits der Ostgrenze des römischen Reiches im Reich der Perser entstanden. Anders als im Rest des römischen Imperiums blieb hier der Zoroastrismus die tragende Religion. Die Konstantinische Wende führte für die Christen in Persien zur Verfolgung, weil man die Christen mit der feindlichen Macht identifizierte (ähnlich wie die Russlanddeutschen in der UdSSR). Bei der Synode von Seleucia-Ktesiphon formierte sich die persische Christenheit 410 als selbstständige Kirche, dabei kam es auch zu einer Vereinbarung mit dem persischen Staat. Man darf sich die Entwicklung im Osten aber grundsätzlich nicht so vorstellen wie im Westen. Im Osten war das Christentum nie Staatsreligion. Man baute zum Beispiel keine großen Kirchen, sondern traf sich mehrheitlich in Privathäusern und erlebte immer wieder Bedrängnis und Verfolgung, als die Kirche im Westen schon lange umfassende Privilegien genoss. Man konnte sich im Osten immer weniger als Teil der Kirche empfinden, die in Rom ihre neue Zentrale fand. 424 erklärte sich diese Kirche formell als unabhängig von der Kirche des Römerreiches:

    „Wir bestimmen, dass die Orientalen nicht befugt sind, an die westlichen Patriarchen gegen ihren eigenen Patriarchen zu appellieren … .“

    Der persische König begrüßte diese Abkoppelung und gewährte den Christen entsprechenden Freiraum. An der Ostsyrischen Synode von 486 wurde auch dogmatisch ein Trennstrich gezogen. Die dort formulierte Zwei-Naturen-Lehre wollte nicht das Chalcedonense aufnehmen, wo zwar auch von zwei Naturen, aber nur von einer Hypostase (Erscheinungsform) gesprochen wurde, nein, die Ostsyrer dachten konsequent dyophysitisch (zwei Naturen in Christus), indem sie zwei Hypostasen (Erscheinungsformen) vertraten: Die göttliche des Logos und die des Menschen. Die Ostkirche folgte damit dem 431 verurteilten Nestorianismus und galt für die Reichskirche (Kirche, die sich nun um die Bischöfe von Rom und Konstantinopel formierte) als häretisch. Die persische Kirche blieb auch unter dem Islam bestehen und wirkte missionarisch – den Handelswegen entlang – bis nach China. Das Zentrum des Reichs der Mitte erreichte der erste persische Missionar (ein Mönch namens A-lo-pen) im Jahr 635. Ein Edikt hält fest:

    „A-lo-pen aus dem Reich Ta-chin, der mit sich Sutras (heilige Schriften) und Bilder brachte, kam von ferne herbei und legte sie in unserer Hauptstadt vor. Nach sorgfältiger Prüfung des Umfangs seiner Lehre erkennen wir sie als geheimnisvoll geistlich und von stiller Wirkung. Wir haben ihrer hauptsächlichen und wichtigsten Aussagen wahrgenommen und sind zu der Überzeugung gekommen, dass sie alles umgreifen, was im Leben höchst bedeutsam ist … Diese Lehre ist hilfreich für alle Geschöpfe und vorteilhaft für jedermann. So möge sie freie Bahn haben im Reich.“ (zit. in: Wolfgang Hage, Das Christentum im frühen Mittelalter, S. 39). Ausblick: Dieser missionarische Anfang hinterließ zwar zahlreiche Spuren, konnte der Wende in der chinesischen Politik im 9. Jh. aber nicht wirklich standhalten, als alle Fremden des Landes verwiesen wurden.

    Die Entwicklung in den östlichen Regionen macht deutlich, wie eng politische und religiöse Ansichten miteinander verbunden waren. Die Gründe für das Auseinandergehen der West- und Ostkirchen liegen einerseits in theologischen Streitfragen, andererseits unterstützte die Politik Christen im eigenen Land nur dann, wenn sie auf deren Loyalität zählen konnte. Eine Kirche mit einer Zentrale in Konstantinopel oder Rom erschien gefährlich.

    Im Unterschied zu den Kirchen des Westens kannten diese Ostkirchen kein gemeinsames, überregionales Oberhaupt.

    Die missionarische Ausrichtung der Kirche in Persien weist eine erstaunliche Dynamik auf und zeigt, dass der Ferne Osten schon im Mittelalter mit der christlichen Botschaft erreicht wurde.

    Vertiefung

    1. Können Sie dem klösterlichen Leben auch Positives abgewinnen? Was könnten die Nachteile sein?

    2. Analysieren Sie die Karte „Christentum 300-400“ (Abbildungen 39 und 40) und notieren Sie Auffälligkeiten. Prägen Sie sich die Regionen der Völkerschaften Europas ein.

    3. Welche Überraschungen brachte das letzte Kapitel für Sie?

    4. Wenn Sie jetzt zurückblicken auf den Gesamtkurs: Was hat Sie am meisten beeindruckt? Wo sind Lücken geblieben? Haben Sie Verbesserungsvorschläge?

    F Bei welchen Fragen stimmen Sie mit Augustin überein? Bei welchen Fragen sind Sie anderer Meinung als Augustin? (F)

    K Fassen Sie die Gründe für die wachsenden Spannungen zwischen Ost- und Westkirche zusammen? (K)