Wonach wir wirklich suchen

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    Was ist der Mensch?

    Um dem Sinn unseres Lebens nachzuspüren, ist es hilfreich darüber nachzudenken, was uns Menschen eigentlich dazu befähigt und antreibt, nach diesem Sinn zu suchen. Denn wer wir Menschen sind, woher wir kommen und wohin wir gehen – mit solchen Fragen beschäftigt sich die Menschheit schon seit jeher. Sowohl Wissenschaftler als auch Theologen und Philosophen der verschiedenen Völker und Kulturen versuchen immer wieder, neue Antworten darauf zu geben. Dennoch haben sie bisher keine allgemein gültige Antwort gefunden.

    Die Biologie und Evolutionsforschung hat festgestellt, dass 99% unseres Genmaterials mit dem der Affen übereinstimmt. Und seit Sigmund Freud erklären uns viele Psychologen, dass wir ein Spielball unserer Triebe und Emotionen, sowie unserer sozialen Prägungen und Kindheitserfahrungen sind. Aber ist das wirklich alles, was uns Menschen ausmacht?

    Nein, denn wir Menschen haben eine spezifisch menschliche, dritte Dimension! Darauf wies Viktor Frankl, ein Wiener Arzt und Philosoph, hin. Der gläubige Jude geht davon aus, dass der Mensch einen physischen Körper und eine Psyche (im Sinne von Emotionen und Charaktereigenschaften) HAT, aber eine geistige Person IST.

    Frankl (1905-1997) ist der Überzeugung, dass wir Menschen frei sind zu einer Stellungnahme gegenüber allem, was das Leben für uns bereithält. Gelingendes, glückliches Leben bedeutet deshalb nicht die völlige Freiheit von Störungen und Problemen. Es bedeutet vielmehr einen Weg gefunden zu haben, mit Schwierigkeiten umzugehen und daran zu wachsen. Basierend auf dieser Erkenntnis entwickelte der Österreicher eine neue Therapie- und Beratungsmethode, die Logotherapie und Existenzanalyse. Deren vorrangiges Ziel ist es nicht, Vergangenes im Leben eines Menschen aufzudecken, sondern vielmehr dessen zukünftige Lebensmöglichkeiten mit ihm gemeinsam zu entdecken.

    Damit deckt sich sein Menschenbild mit dem biblischen, das besagt, dass die Seele des Menschen nicht Zubehör ist, sondern der Mensch eine lebendige Seele ist: „Da bildete Gott, der Herr, den Menschen aus Staub vom Erdboden und hauchte in seine Nase Atem des Lebens. So wurde der Mensch eine lebendige Seele.“ (1. Mose 2,7)

    Viktor Frankl nimmt Bezug auf diese Bibelstelle, wenn er sagt: „Die Eltern geben bei der Zeugung eines Kindes die Chromosomen her – aber sie hauchen nicht den Geist ein. Die Chromosomen bestimmen einzig und allein das Psychophysikum, nicht aber den Geist; sie bestimmen jeweils den psychophysischen Organismus, aber nicht die geistige Person.“

    Geist ist dabei nicht zu verwechseln mit Intelligenz und Verstand, denn auch den HABEN wir in mehr oder weniger ausgeprägtem Umfang vererbt bekommen. Die geistige Person wird also nicht von den Eltern geschaffen, sondern IST von Gott urgewollt und bedingungslos geliebt.

    In diesem Sinne werden Kinder nicht gezeugt, sondern Eltern werden Zeugen des Wunders der Menschwerdung. Bei der Zeugung eines Kindes wird der Vater um ein paar Gramm leichter, nach der Geburt wiegt die Mutter ein paar Kilo weniger. In Bezug auf die geistige Dimension trifft dies jedoch nicht zu. Denn die Eltern werden nicht an Geist ärmer, sondern die Welt um eine geistige Person reicher. Diese geistige Person ist absolut einmalig, einzigartig, noch nie da gewesen und unwiederholbar.

    Viktor Frankl spricht nun davon, dass der Mensch Baumeister seines Lebens sei. Er meint damit: Zwar haben wir alle Erbanlagen, unsere Erziehung und unser gesellschaftliches Umfeld, das uns prägt. Und die Verteilung dieser ‚Mitgift’ ist in unseren Augen nicht immer gerecht, denn die Menschen erhalten sehr unterschiedliches ‚Baumaterial’. Manche haben schwere Startbedingungen, manchen ist Schlimmes widerfahren, während andere mit dem sprichwörtlichen goldenen Löffel im Munde geboren werden. Aber das ist nicht das Entscheidende. Wichtig ist, wie ein Mensch mit diesem Material sein Leben gestaltet. „Der eine baut ein Gefängnis, der andere baut eine Kathedrale“, so beschrieb es die Psychologin und Schülerin Frankls, Elisabeth Lukas.

    Deshalb stimmt es zwar, dass wir den Tieren in körperlichen und psychischen Eigenschaften ähnlich sind. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass zwischen Gefühlen und körperlichen Reaktionen ein enger Zusammenhang besteht, den wir willentlich nicht kontrollieren können. Wenn wir zum Beispiel wütend sind, können wir nicht verhindern, dass sich unser Puls beschleunigt und der Blutdruck steigt. Im Gegensatz dazu kann sich meine geistige Person aber von der wütenden Reaktion distanzieren. Ich kann zwar die Wut nicht „auf Knopfdruck“ abstellen, aber als Person habe ich die Freiheit zu entscheiden, wie ich mich zu dieser Wut verhalte. Das heißt konkret: Ich bin nicht gezwungen, im Zorn alles kurz und klein zu schlagen, sondern kann auch tief durchatmen und die geballten Fäuste in die Hosentasche stecken.

    Daraus lässt sich leicht erkennen, dass der Mensch weder durch seinen Charakter oder seine Biografie, durch frühkindliche Verletzungen noch durch sein soziales Umfeld endgültig festgelegt ist. Wir haben immer die Möglichkeit zur Veränderung und können uns in jedem Augenblick unseres Lebens neu auf die Suche nach Sinn und den dazu passenden Handlungsmöglichkeiten machen.

    Wenn jemand zum Beispiel den Charakter seines cholerischen Vaters geerbt hat, der schnell aus der Fassung zu bringen war und dann womöglich handgreiflich wurde, gibt es mindestens zwei Möglichkeiten, damit umzugehen: Zum einen kann man sich diesem Charakterzug ausliefern und sich sagen: „Ich habe eben dieses Temperament geerbt und es auch nicht anders gelernt, deshalb kann ich nicht anders.“ (Determinismus) Oder: „Alle cholerischen Menschen schlagen schnell zu, das ist nun mal so.“ (Kollektivismus). Zum anderen aber kann sich jeder Mensch auf seine eigene Verantwortung besinnen und beschließen, dass er eben nicht so sein muss, sondern – gerade weil er um seine Schwäche weiß – auch ganz anders werden kann. Man kann es auch als Geschenk werten, dass man als Kind erlebt hat, welche negativen Folgen aufbrausendes Verhalten mit sich bringt. Denn durch diese Erfahrung weiß man als Erwachsener umso genauer, in welchen Situationen es besonders darauf ankommt, sich anders zu verhalten und ruhig zu bleiben.

    Sie haben immer eine Wahl! Auch für Sie gibt es einzigartige Sinnmöglichkeiten zu entdecken, denn Sie SIND ein einzigartiges Geschöpf Gottes! Damit, wie Sie Ihre Begabungen sinnvoll nutzen können, werden wir uns in der nächsten Einheit befassen.

    Gedanken aus der Bibel:



    Der Mensch ist in Gottes Augen wertvoll und geliebt. Das beschreiben zum Beispiel folgende Verse aus den Psalmen, einem poetischen Buch aus dem Alten Testament:

    Herr, was ist der Mensch, dass du ihn beachtest, und das Kind eines Menschen, dass du für es sorgst? (Psalm 144,3)

    Du hast alles in mir geschaffen und hast mich im Leib meiner Mutter geformt. Ich danke dir, dass du mich so herrlich und ausgezeichnet gemacht hast! Wunderbar sind deine Werke, das weiß ich wohl. (Psalm 139,13f.)

    Fragen zum Weiterdenken:

    • Welche körperlichen und charakterlichen Eigenschaften haben Sie als „Baumaterial“ von Gott geschenkt bekommen?
    • Welche davon sind besonders gut? Wofür sind Sie Gott dankbar?
    • Wenn Ihnen auch weniger gute Eigenschaften einfallen, dann überlegen Sie, wie Sie sich vielleicht anders verhalten können. Welche Alternativen gibt es? Sie können Gott ruhig darum bitten, Ihnen bei dieser Veränderung zu helfen.
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    Das Leben als Aufgabe

    In der letzten Einheit haben wir uns mit der Frage beschäftigt, was der Mensch eigentlich ist. Heute wollen wir weiter fragen, nämlich wozu wir Menschen auf der Welt sind. Ist es unser Ziel, möglichst glücklich zu leben? Wenn ja, was ist dann dieses Glück? Können Geld, Ruhm, Sex wirklich Sinn stiften? Allein wohl nicht, denn dann müssten alle Prominenten nur so strahlen vor Glück. Die Schlagzeilen der Boulevardpresse belehren uns eines Besseren.

    Nach Viktor Frankl strebt der Mensch ursprünglich niemals direkt nach Lust bzw. Glück in Form von Bedürfnisbefriedigung, sondern er sucht einen Grund zum Glücklichsein. Er schreibt: „Je mehr er nach Glück jagt, umso mehr verjagt er es auch schon. Um dies zu verstehen, brauchen wir nur das Vorurteil zu überwinden, dass der Mensch im Grund darauf aus sei, glücklich zu sein; was er in Wirklichkeit will, ist nämlich, einen Grund dazu zu haben. Und hat er einmal einen Grund dazu, dann stellt sich das Glücksgefühl von selbst ein. In dem Maße hingegen, in dem er das Glücksgefühl direkt anpeilt, verliert er den Grund, den er dazu haben mag, aus den Augen, und das Glücksgefühl selbst sackt in sich zusammen. Mit anderen Worten, Glück muss er-folgen und kann nicht er-zielt werden.“

    Zu wissen, was Gott mit mir vorhat, kann ein entscheidender Schritt zu diesem Glück sein. Denn jeder Mensch ist ein einzigartiges Bild, das Gott gemacht hat. Unsere Aufgabe ist es, dieses einmalige Bild Gottes in der Welt sichtbar werden zu lassen. Es macht die Würde des Menschen aus, dass er sich seiner selbst und seiner Verantwortung bewusst ist. Dem Menschen ist sein Leben damit nicht nur gegeben, sondern auch aufgegeben. Wir sind dazu berufen, in den Bedingungen unserer Welt den Plan Gottes aufzugreifen und zu verwirklichen. Es gilt, den Aufgabencharakter der Welt um uns herum zu erfassen und den jeweiligen persönlichen Auftrag zu erkennen und anzunehmen.

    Daher bedeutet Glück für Viktor Frankl nicht sagen zu können „Mir geht es gut“, sondern zu sagen: „Ich bin für etwas oder jemanden gut“. Entsprechend beschreibt er drei „Wertkategorien“, die suchende Menschen zu Sinn und einem gelingenden, glücklichen Leben führen können.

    1. Schöpferische Werte: konstruktive Taten und Werke, die man in die Welt setzt. Große Künstler haben Skulpturen erschaffen, Symphonien komponiert oder literarische Werke verfasst. Architekten haben in ihrem Kopf monumentale Bauwerke entworfen und Handwerker haben sie mit ihren Händen gebaut. Schöpferische Werte müssen aber nicht immer so großartig und überdauernd sein. Auch das Bepflanzen eines Gartenbeetes, das Häkeln eines Topflappens oder das Zusammenstellen eines Fotoalbums kann einen schöpferischen Wert darstellen. Nicht zu vergessen natürlich die liebevolle Hingabe an eine andere Person, also die Pflege eines Kranken oder die Versorgung und Erziehung eines Kindes. Wichtig ist, dass der Einzelne die Betätigung als erstrebenswerte, weil sinnvolle Aufgabe erlebt.
    2. Erlebniswerte: Sinneseindrücke, die man bewusst aufnimmt und genießt, indem man sich „Erlebniswürdigem“ öffnet und dafür dankbar ist. Solch ein Erlebniswert kann z. B. der bewusste Genuss eines guten Essens sein, die Freude am Farbenspiel eines Sonnenuntergangs, die Wärme einer zärtlichen Berührung oder auch das hingebungsvolle Betrachten eines Kunstwerks.
    3. Einstellungswerte: Akzeptanz unabänderlicher Gegebenheiten, Umgestaltung einer schicksalhaften Tragödie in einen Triumph, indem man sich mit seinem Schicksal versöhnt und versucht, das Beste daraus zu machen. So können Menschen selbst im Leid noch Großes leisten und anderen Mut machen, in ähnlichen Situationen nicht aufzugeben. Am Tod eines geliebten Menschen kann ich zum Beispiel nichts ändern, dennoch habe ich die Wahl, ob ich an meiner Trauer zerbreche, oder ob ich mich entscheide, dankbar zu sein für die schönen Zeiten, die wir miteinander hatten. Das bedeutet nicht, dass im Leid keine Klage erlaubt ist, aber ich selbst kann bestimmen, wie lange und wie intensiv ich mich von der Verzweiflung vereinnahmen lasse.

    Wie Sie aus den verschiedenen Möglichkeiten, die das Leben Ihnen bietet, die jeweils sinnvollste auswählen können, wird uns in der nächsten Einheit beschäftigen.

    Gedanken aus der Bibel:

    Die Schreiber der Bibel gehen davon aus, dass Gott jedem Menschen Fähigkeiten und Stärken gegeben hat. Paulus, ein Autor im Neuen Testament, gibt den Christen einen Rat, wie sie ihre Begabungen einsetzen sollen. Seine Liste ist nicht komplett, zeigt aber, auf was es ankommt:

    Besteht deine Begabung darin, anderen zu dienen, dann diene ihnen gut. Bist du zum Lehren berufen, dann sei ein guter Lehrer. Wenn du die Gabe hast, andere zu ermutigen, dann mach es auch! Wer Geld hat, soll es aus freien Stücken und ehrlich mit anderen teilen. Hat Gott dir die Fähigkeit verliehen, andere zu leiten, dann nimm diese Verantwortung ernst. Und wenn du die Begabung hast, dich um andere, die es nötig haben, zu kümmern, sollst du es mit fröhlichem Herzen tun.

    (Römer 12,7-8)

    Fragen zum Weiterdenken:

    • Wie schauen Ihre derzeitigen Bedingungen und Möglichkeiten im Leben aus?
    • Wo könnten Chancen zur Veränderung verborgen sein, die es zu entdecken gilt?
    • Wo werden Sie gebraucht? Was wollten Sie immer schon gerne tun, haben es aber bisher immer verschoben?
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    Das Gewissen als Kompass zur Sinnfindung

    Während Sigmund Freud feststellte: „Im Moment, da man nach Sinn und Wert des Lebens fragt, ist man krank, denn beides gibt es ja in objektiver Weise nicht.“, kommt Viktor Frankl zu dem Schluss: „…, dass der Mensch damit, dass er die Frage nach dem Sinn des Lebens stellt, ja, mehr als das, dass er wagt, die Existenz eines solchen Sinnes sogar in Frage zu stellen, – ich meine, dass der Mensch damit nur seine Menschlichkeit manifestiert.“

    Die Grundmotivation des Menschen ist, seinem Leben Sinn zu geben. Dabei lassen sich ein innerer und ein äußerer Anteil unterscheiden. Der innere Anteil ist das Streben nach Sinn, also die „Sinnwilligkeit“ des Menschen. Der äußere Anteil bezieht sich auf die jeweiligen Lebensumstände, also das „Sinnangebot“ der Situation.

    „Sinn“ ist nichts Statisches oder Allgemeingültiges, sondern die Anforderung des jeweiligen Augenblicks, die an jeden einzelnen immer wieder neu ergeht. Selbst jemand, der ein „Lebensziel“ vor Augen hat, muss überlegen, wann es sinnvoll und notwendig ist, dieses Ziel vorübergehend aus den Augen zu lassen. Ein Arzt, der ein neues Medikament entwickeln will, muss sich Gedanken machen, wann es wichtiger ist, Zeit mit der Familie zu verbringen oder sich selbst eine Pause zu gönnen. Eine regelmäßige Überprüfung des jeweils aktuellen Sinns des Augenblicks bewahrt davor, sich ausnutzen zu lassen, denn bekanntlich kann jedes noch so gut gemeinte Engagement übertrieben werden und dadurch mehr Schaden als Nutzen bringen.

    Viktor Frankl sagt dazu: „Sinn kann nicht gegeben, sondern muss gefunden werden. Sinn muss gefunden, kann aber nicht erzeugt werden. Was sich erzeugen lässt, ist entweder subjektiver Sinn, ein bloßes Sinngefühl, oder – Unsinn. (…) Sinn muss nicht nur, sondern kann auch gefunden werden, und auf der Suche nach ihm leitet den Menschen das Gewissen. Mit einem Wort, das Gewissen ist ein Sinn-Organ. Es ließe sich definieren als die Fähigkeit, den einmaligen und einzigartigen Sinn, der in jeder Situation verborgen ist, aufzuspüren.“

    Das Gewissen als innere Stimme dient uns daher als Kompassnadel für ein sinnvolles Leben. Es ist ein unbewusstes ethisches Empfinden, das jeder Mensch intuitiv in sich trägt. Das Gewissen erschließt uns einen objektiven Sinn, der danach strebt, Werte zu erhalten und zu vermehren.

    Es wäre gefährlich, das Gewissen mit einem subjektiv angenehmen Gefühl zu verwechseln, denn nicht alles, was uns passend und bequem erscheint oder was wir uns wünschen, ist immer auch die sinnvollste Wahlmöglichkeit. Im Extremfall mag es für einen Bankräuber subjektiv sinnvoll erscheinen, andere Menschen zu bedrohen und schlimmstenfalls sogar zu töten, weil er danach über mehr Geld verfügt und sich ein schönes Leben auf einer Südseeinsel leisten kann. Aber objektiv kann es niemals sinnvoll sein, einem anderen Menschen Schaden zuzufügen.

    Aus der Freiheit des Willens, dem Gewissen zu folgen oder ihm zuwider zu handeln, ergibt sich die Verantwortlichkeit des Menschen. Nimmt er sein Gewissen wahr und verwirklicht er Sinnvolles, so leistet er Gutes. Entscheidet er sich aber bewusst gegen sein Gewissen, lädt er Schuld auf sich. Die Möglichkeit, sich schuldig zu machen, ist der Preis dafür, auf der anderen Seite Gutes tun zu können und umgekehrt. Leugnet man die Schuldfähigkeit eines Menschen, so bestreitet man damit zwangsläufig auch seine Möglichkeit, verantwortungsbewusst zu handeln.

    Oft deckt sich die Stimme unseres Gewissens mit den Moralvorstellungen, Normen und Traditionen, die wir von Eltern, Lehrern, kirchlichen oder staatlichen Autoritäten vermittelt bekommen. Manchmal widerspricht unsere innere Stimme aber auch. Dann ist es an uns, auf diese leise Warnung zu hören, auch wenn das nicht immer leicht fällt und die Gefahr von Missverständnissen und Irrtümern nicht auszuschließen ist.

    Gesellschaftlich anerkannt und erwünscht ist es zum Beispiel, dass Kinder eine möglichst gute Schulbildung erhalten. Es ist auch durchaus sinnvoll, sich dafür einzusetzen. Wird dabei allerdings vor lauter Ehrgeiz das Wohlergehen des Kindes aus den Augen verloren (zum Beispiel das kindliche freie Spiel, der Entdeckungstrieb, Bedeutung von Freundschaften, etc.), dann ist es an der Zeit, in sich hineinzuhorchen und auf die Stimme des Gewissens zu lauschen.

    Darüber, wie unser Gewissen uns helfen kann, mit Schuld und Schuldgefühlen umzugehen und wann Verzeihung und Vergebung sinnvoll sind, werden wir in der nächsten Einheit nachdenken.

    Gedanken aus der Bibel:

    Das Wissen über Gut und Böse ist tief im Menschen verankert. Davon ist Paulus, der bereits in der letzten Lektion erwähnte Autor von einigen Briefen im Neuen Testament, überzeugt. Für ihn gehört es wesentlich zum Menschsein, dass wir ein Gewissen haben und darauf hören sollten:

    Wenn sogar Menschen, die Gottes geschriebenes Gesetz nicht haben, unbewusst so handeln, wie es das Gesetz vorschreibt, so beweist das, dass sie in ihren Herzen Recht von Unrecht unterscheiden können. Durch ihr Verhalten zeigen sie, dass Gottes Gesetz in ihr Herz geschrieben ist, denn ihr eigenes Gewissen und ihre Gedanken klagen sie entweder an oder bestätigen, dass sie das Richtige tun.

    (Römer 2,14-15)

    Fragen zum Weiterdenken:

    • Wie und wann meldet sich Ihr Gewissen? Ist es ein Gefühl, das in Ihnen aufkommt? Eine innere Stimme?
    • Gab es Situationen, in denen Sie schon einmal nur Ihrem Gewissen vertraut haben?
    • Wie haben Sie sich dabei gefühlt?
    • Sind Sie jetzt gerade unsicher und stehen vor einer Entscheidung? Wo gibt es dabei Widersprüche oder Überschneidungen zwischen gesellschaftlichen Normen, Ihrem Innersten und Gottes Interessen für Ihr Leben?
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    Schuld und Vergebung

    Ein begangenes oder erlittenes Unrecht liegt uns Menschen oft lange auf der Seele und verdeckt den Blick auf den Sinn unseres Lebens. Es hindert uns daran, nach vorne zu schauen und unsere Zukunft sinnvoll zu gestalten. Deshalb ist es wichtig, sich mit dem Thema Schuld und Vergebung auseinanderzusetzen und einen Weg zu finden, damit umzugehen.

    Aber es besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen subjektiven Schuldgefühlen und berechtigter, echter Schuld. Für die Entstehung von Schuld müssen immer zwei Grundvoraussetzungen gegeben sein: Zum einen muss der Schuldige zum Zeitpunkt des Schuldigwerdens die Freiheit der Wahl zwischen verschiedenen Verhaltensmöglichkeiten gehabt haben. Zum anderen muss er fähig gewesen sein, die sinnvollste dieser Wahlmöglichkeiten zu erkennen.

    Hier hilft dem Menschen das Gewissen, von dem schon in der letzten Einheit die Rede war. Manchmal kann er sein Gewissen aber nicht beziehungsweise nicht ausreichend wahrnehmen, weil er zum Beispiel als Kind dafür noch nicht reif genug ist oder weil eine Krankheit (zum Beispiel eine Demenz) dies verhindert. Dann kann er, laut Frankl, keine Schuld auf sich laden. Aus christlicher Sicht ist hierbei zu ergänzen, dass nach der Bibel kein Mensch ohne Sünde ist (vgl. Psalm 14,1).

    Doch auch wenn der Mensch als Wesen sündig und damit schuldbeladen ist, gibt es Situationen, in denen wir Schuldgefühle entwickeln ohne tatsächlich Schuld auf uns geladen zu haben. Insbesondere wenn sich Menschen selbst Schuld zuschreiben, ist daher zwischen echter Schuld und subjektiven Schuldzuweisungen zu unterscheiden. Unberechtigte Schuldgefühle versperren den Blick für den Sinn.

    Viel mehr noch die echte Schuld. Sie entspricht einem Werteverlust, nämlich dem Verlust von Unschuld. Schuldbewältigung ist daher nur dadurch möglich, dass ein neuer Wert entsteht. Dazu gibt es verschiedene Möglichkeiten.

    Die naheliegendste Form ist die Wiedergutmachung an der betroffenen Person. Wenn jemand zum Beispiel einen anderen um Geld betrogen hat, kann er diese Schuld eingestehen und bereinigen, indem er die entsprechende Summe zurückzahlt. Die Schuld ist überwunden, der Blick für ein sinnvolles Leben wieder frei.

    Nicht immer ist dieser unmittelbare Ausgleich möglich. Wenn jemand durch Alkohol am Steuer einen Menschen getötet hat, ist diese Schuld nicht wiedergutzumachen, so sehr man sich das auch wünschen mag. Dann kann die Wiedergutmachung an anderen Menschen erfolgen. Relativ direkt wäre dies durch finanzielle oder tatkräftige Unterstützung der Hinterbliebenen möglich. Doch dies wird verständlicherweise oft abgelehnt, da der Verlust eines Menschen unbezahlbar und die Begegnung mit dem Schuldigen zu schmerzlich ist. Eine andere, sehr sinnvolle, Möglichkeit der Wiedergutmachung bestände darin, sich um andere Unfallopfer zu kümmern und sich dafür einzusetzen, dass ähnliche Unfälle seltener werden, beispielsweise durch Aufklärungsarbeit bei jugendlichen Fahranfängern.

    Wenn eine Wiedergutmachung nicht mehr möglich ist, kann man sich auch durch echte und ehrlich gemeinte Reue zu einem neuen Menschen entwickeln und dadurch seelisch reifen. Schuld ist ein starker Wandlungsimpuls, ein Aufruf, sich zu ändern. Schuld bietet die Möglichkeit, aus alten Gleisen auszusteigen und in Zukunft bessere Entscheidungen zu treffen. Jede Form der Wiedergutmachung und alles Gute, das ein schuldig gewordener Mensch aus seiner Schuld heraus kreiert, jede positive Möglichkeit, die deshalb von ihm ergriffen wird, verleiht den Ereignissen rückwirkend Sinn.

    Genau wie zu biblischen Zeiten sind wir Menschen heute selbst verantwortlich für unser Handeln. Wenn uns jemand betrügt oder schlägt, können wir ebenfalls betrügen oder schlagen und werden damit auch zum Betrüger oder Schläger. Wir können aber auch anders reagieren und damit ein „anständiger“, ehrlicher und friedlicher Mensch bleiben beziehungsweise werden. Jede Entscheidung, die der Mensch trifft, ist auch eine Entscheidung über sich selbst. Denn er ist ein Wesen, das immer wieder neu entscheiden kann (und muss) und sich mit diesen Entscheidungen verändert.

    Um diese Wahlmöglichkeit zu betonen, machte Jesus im Neuen Testament deutlich, dass Gewalt nur noch mehr Gewalt erzeugt und man diesen Teufelskreis nur durchbrechen kann, wenn einer damit aufhört. Er empfiehlt im Streitfall: „Wehrt euch nicht, wenn euch jemand Böses tut! Wer euch auf die rechte Wange schlägt, dem haltet auch die andere hin.“ (Matthäus 5,39) Um das zu schaffen, müssen die meisten Menschen – mich eingeschlossen – noch einen langen Lernprozess durchlaufen. Das ist wirklich schwer umzusetzen und ich maße mir nicht an, etwas zu verlangen, was ich vermutlich selbst nicht fertig brächte.

    Aber wenn wir diesen Ratschlag Jesu im Kopf behalten, dann fällt es uns leichter, uns vorzustellen, dass andere Menschen uns oft nicht absichtlich schaden wollen, sondern nur Gutes für sich selbst im Sinn haben. Wenn uns das gelingt, sind wir dem Vorbild Jesu einen großen Schritt näher, denn dann wird aus dem „Feind“ wieder ein Mensch. Dieser Mensch ist deswegen noch kein Unschuldsengel, aber eben ein Mensch mit Fehlern und Schwächen und mit seiner eigenen Geschichte, die er mit sich herumschleppt.

    Wir können unsere Mitmenschen nicht ändern, wohl aber unser eigenes Verhalten und unsere Einstellung ihnen gegenüber. Vergeben heißt im Übrigen nicht automatisch auch vergessen. Denn würden wir alles vergessen, gäbe es ja nichts mehr zu verzeihen. Vergeben heißt inneren Frieden zu finden und den Groll und die Wut loszulassen, die unser eigenes Leben oft weit mehr vergiftet als dass sie dem Adressaten schadet – und die unseren Blick auf unseren persönlichen Sinn trübt.

    Selbst wenn wir Menschen nicht die Kraft haben, einander unsere Schuld zu verzeihen – trotz aller Bemühung um Wiedergutmachung und trotz ehrlicher Reue, als Christen dürfen wir darauf vertrauen, dass uns dennoch vergeben wird. Jesus Christus liebt uns Menschen so sehr, dass er uns immer wieder die Hand zum Neuanfang reicht, wenn wir nur erkennen, dass wir sie brauchen und uns von ihm führen und verändern lassen. Seine bedingungslose Liebe ist stärker als alle Schuld, wie ein Vers aus dem Johannes-Evangelium deutlich macht: „Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde.“ (Johannes 3,16) Er macht trotz Schuld ein sinnvolles Leben wieder möglich.

    Dem Thema Liebe und was sie für unser eigenes Leben bedeutet, ist deshalb die nächste Einheit gewidmet.

    Weitere Informationen zum Thema Vergebung finden Sie im Artikel „Schuld und Vergebung“.

    Gedanken aus der Bibel:

    Schuld und Vergebung sind zentrale Themen der Bibel. Welche Auswirkungen begangenes Unrecht hat, beschreiben beispielhaft folgende Aussage aus einem der sogenannten „Bußpsalmen“:

    Meine Schuld überwältigt mich, sie ist mir wie eine schwere Last.

    (Psalm 38,5)

    Gerade weil wir als Menschen immer wieder aneinander und vor Gott schuldig werden, sollte sich keiner für besser oder moralisch höher stehend halten. Das schärft Jesus seinen Nachfolgern mit folgender Aussage ein:

    Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben.

    (Lukas 6,37)

    Fragen zum Weiterdenken:

    • Gibt es jemanden in Ihrer Nähe, den Sie nicht leiden können? Versuchen Sie einmal sich zu überlegen, welche netten Seiten derjenige hat. Welche Probleme oder Schwierigkeiten könnte er haben? Können Sie ihm vielleicht sogar helfen? Schenken Sie ihm beim nächsten Treffen mal ein Lächeln, eine nette Geste oder tun Sie ihm etwas Gutes und warten ab, was passiert.
    • Tragen Sie noch alte Wut wegen irgendetwas oder jemandem mit Ihnen herum? Wenn ja, schreiben Sie sie auf und legen den Brief dann ganz bewusst weg. Wenn Sie mögen, können Sie ihn auch verbrennen. Das hilft beim Loslassen.
    • Wenn Sie sich selbst wegen etwas schuldig fühlen, überlegen Sie sich bewusst, ob Sie echte Schuld oder Schuldgefühle quälen. Wenn Sie ehrlich bereut haben und versuchen, künftig anders zu handeln, haben Sie getan, was Sie konnten und mussten sich nicht weiter belasten. Die bekannte Christin Corrie ten Boom hat dazu einmal gesagt: Jesus wirft unsere Sünden in die Tiefe des Meeres und stellt ein Schild ans Ufer auf dem steht „Fischen verboten“.
    • Sie können auch im Gebet Jesus direkt um Vergebung bitten. Seine Liebe gilt auch Ihnen ganz persönlich!
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    Selbst- und Nächstenliebe

    In den letzten beiden Einheiten stand das Gewissen im Mittelpunkt. Inhalt und Maßstab dieses Gewissens ist die Liebe. Sie ist sein eigentlicher Maßstab. Dies gilt nirgendwo intensiver als dort, wo ein Mensch Verantwortung für andere übernimmt. Kern aller Gewissensorientierung ist darum das Doppelgebot der Liebe: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. […] Und du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (vgl. Matthäus 22,37-40). Sinn kann deshalb nicht in einem selbst verwirklicht werden, nicht im Kreisen um das eigene Ich, sondern er weist stets über den einzelnen Menschen hinaus.

    Denn, so sagt Viktor Frankl: „Im Dienst an einer wertvollen Sache bzw. in der Liebe zu einer Person erfüllt der Mensch sich selbst. Je mehr er aufgeht in seiner Aufgabe, je mehr er hingegeben ist an seinen Partner, umso mehr ist er Mensch, umso mehr wird er selbst. Sich selbst verwirklichen kann er also eigentlich nur in dem Maße, in dem er sich selbst vergisst, in dem er sich selbst übersieht.“

    Ebenso wichtig ist es aber, sich selbst zu lieben und auf die Wahrung der eigenen Bedürfnisse zu achten. Das Selbst eines Menschen verkörpert ja einen Wert, der wahrgenommen und geschätzt werden soll. Das hat nichts mit Egoismus oder Eigenlob zu tun, ganz im Gegenteil. Denn nur wenn es uns selbst gut geht, haben wir die Kraft, uns sinnvoll anderen Menschen zu widmen. Dennoch genügt ein starkes Selbstbewusstsein nicht zum guten Leben. Dazu bedarf es eines Lebenswertgefühls, also der Überzeugung, das Leben sei es wert, gelebt und sinnerfüllt gestaltet zu werden.

    Der Mensch ist berufen zur Gemeinschaft, denn Gott schuf den Menschen als soziales Wesen (vgl. 1. Mose 2,18.21-24). Als solches stellt gesellschaftliches Leben für ihn nicht etwas Zusätzliches dar, sondern ist ein Anspruch seiner Natur. Durch Begegnung mit anderen, durch wechselseitige Unterstützung und durch Gespräche mit seinen Mitmenschen entwickelt der Mensch seine Fähigkeiten und kann seiner Berufung entsprechen, letztlich Sinn finden. Gott schuf den Menschen als ein „Wir“, als ein Wesen, das im Miteinander von „Ich“ und „Du“ die Welt voranbringen soll. Ohne den Mitmenschen würde sich der Mensch trotz allen Lebens, das es auf der Erde gibt, allein fühlen.

    Darum dürfen wir unserer Sehnsucht getrost Ausdruck verleihen: Sowohl der unbestimmten Sehnsucht nach Gott als auch der bestimmten Sehnsucht nach einem Menschen, durch dessen Anblick uns das Ebenbild Gottes begegnet. Der Blick des Liebenden lässt die wahre Schönheit der Geliebten sichtbar werden. Schön sind wir nämlich nicht gemäß einer wie auch immer gearteten Norm, sondern dadurch, dass wir geliebt werden. Das heißt, Schönheit ist nicht allein körperlich (in sexueller Anziehungskraft) und emotional (mit den berühmten „Schmetterlingen“ der Verliebtheit im Bauch), sondern auch seelisch und geistig in gegenseitiger Vertrautheit wahrnehmbar. Solche spürbare Schönheit und Einzigartigkeit eines geliebten Menschen lässt uns klarer sehen und bringt uns näher zu Gott.

    Diese sinngebende Liebe ist ein Geschenk, das sich aber nicht nur auf Paarbeziehungen beschränken muss. Nächstenliebe, so wie Jesus sie meint, schließt all unsere Mitmenschen ein und tut nicht nur ihnen gut, sondern auch uns selbst. Was damit gemeint ist, zeigt der folgende Vergleich von Elisabeth Lukas (entnommen aus ihrem Buch „Rendezvous mit dem Leben“, S. 46-48).

    Sie schreibt: Nehmen wir an, ein Junge begegnet einer alten Frau, die einen großen Korb mit Birnen trägt. Der Junge sieht die saftig-frischen Birnen und hat große Lust, eine davon zu verspeisen. Er überlegt sich, dass ihm die Frau gewiss ein paar Birnen schenken werde, wenn er sich bereit erklärt, ihr den Korb nach Hause zu tragen. Dementsprechend geschieht es: er nimmt ihr die schwere Last ab, und sie zeigt sich dafür erkenntlich. So weit ist alles in Ordnung. Obwohl das Motiv des Jungen nicht ganz selbstlos war, hat er doch immerhin eine anständige Tat vollbracht, und das ist besser, als wenn er der alten Frau nicht geholfen hätte. Sein Gewinn wird außer den paar Birnen auch eine Steigerung seines Selbstwertgefühls sein; er war klug, und seine Rechnung ist aufgegangen.

    Stellen wir uns nun einen anderen Jungen vor, der genauso der Alten mit dem Birnenkorb begegnet, aber nicht vorrangig die Birnen, sondern die Frau sieht. Der bemerkt, wie sie sich gebeugt dahinschleppt und sich abplagt. Dem Jungen geht der Sinn des Augenblicks auf, der darin besteht, seine brachliegenden jugendlichen Kräfte dort zur Verfügung zu stellen, wo sie gebraucht werden. Auch er bietet also an, ihr den Korb nach Hause zu tragen, tut es, und bekommt dafür ein paar Birnen geschenkt. Was wird der Gewinn dieses zweiten Jungen sein? Er hatte Berührung mit dem Menschlichen, dem Sinnvollen, das in seiner Hilfsbereitschaft lag, unabhängig davon, was es ihm als Nebeneffekt einbringen würde, und deswegen wird nicht nur sein Selbstwertgefühl, sondern vor allem sein Lebenswertgefühl steigen im Wissen um die Sinnhaftigkeit seiner Existenz.

    Während sich der eine Hände reibend sagen kann: „Das habe ich gut gemacht!“, darf der andere Erfüllung empfangen im Gedanken: „Es ist gut, dass ich da war!“

    Was sind jeweils die Konsequenzen, falls sich die alte Frau nach erfolgter Hilfeleistung nicht dankbar erweist und kein Obst verschenkt? Der erstbeschriebene Junge wird sich enorm ärgern, weil er sich (nach seinem Verständnis) „umsonst“ bemüht hat. Das wird seinem Selbstbewusstsein einen Dämpfer verpassen.

    Der zweite Junge hat hingegen die Chance, auch in dieser unbefriedigenden Situation einen Sinn zu sehen. Denn die Tatsache, dass er einer sich abplagenden Frau freundlich geholfen hat, nimmt ihm niemand mehr weg, gleichgültig, ob ihm dafür gedankt worden ist oder nicht. „Jede Tat ist ihr eigenes Denkmal“, um Viktor Frankl zu zitieren. Der Junge kann die Güte seiner Tat sogar noch aufwerten, indem er ihr das Verzeihen der Undankbarkeit folgen lässt. Was er getan hat, wird niemals „umsonst“ sein, und deswegen bleibt sein Lebenswertgefühl unangetastet von der Reaktion der Frau.

    Nächstenliebe ist besonders wertvoll und tröstlich, wenn es darum geht, schwierige Momente und leidvolle Erfahrungen auszuhalten und ihnen Sinn zu geben. Solche Situationen und der bestmögliche Umgang damit werden Thema unserer nächsten Einheit sein.

    Gedanken aus der Bibel:

    Gott hat den Menschen nicht als Einzelkämpfer, sondern als Gemeinschaftswesen geschaffen. Deswegen ist es ihm auch so wichtig, wie wir miteinander umgehen:

    Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.

    (3. Mose 19,18)

    Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe.

    (Johannes 15,12)

    Fragen zum Weiterdenken:

    • Wann haben Sie das letzte Mal einem Menschen etwas Gutes getan ohne dabei eine Gegenleistung erwartet zu haben?
    • Für wen ist es gut, dass Sie da sind? Wem könnten Sie wieder einmal etwas Gutes tun?
    • Gibt es Menschen, die für Sie da sind und denen Sie dafür danke sagen möchten?
    • Offizieller Beitrag

    Leiden ist Leistung

    Es gibt Momente im Leben, da erscheint uns die Frage nach dem Sinn wie Hohn! Wenn wir verzweifelt, mutlos und hoffnungslos sind und keinen Ausweg mehr wissen – wenn alles sinnlos erscheint. Gutgemeinte Ratschläge wie „Das wird schon wieder“ oder „Du wirst sehen, irgendwann verstehst du den tieferen Sinn von alldem“ werden dann eher als Schläge empfunden denn als Trost.

    Krisen erleben wir in der Regel dann, wenn wir Verluste erleiden. Solche Verluste können sein: der Verlust der eigenen Beweglichkeit und Kraft durch Krankheit, die Trennung von einem geliebten Menschen durch Scheidung, Tod oder das Zerbrechen einer Freundschaft, der Verlust von Anerkennung und materieller Sicherheit durch Arbeitslosigkeit oder auch der Verlust des eigenen Selbstvertrauens durch einen nicht behebbaren Fehler. All diese Verluste sind schlimm, besonders für denjenigen, der sie gerade erleidet.

    Deshalb ist es wichtig, sich zunächst einmal genug Zeit für Trauer und Klage zu lassen. Denn schon mitgeteiltes Leid ist halbes Leid! Das wussten die Menschen bereits zu biblischen Zeiten und drückten ihre Verzweiflung und Wut im Gebet aus. Die Bibel beschönigt das nicht, sondern überliefert uns diese Hilferufe in den Klage- und sogar Rachepsalmen.

    Besonders eindrücklich schildert die Bibel den Kampf eines leidenden Menschen im Buch Hiob. Mir persönlich hilft diese Geschichte immer sehr, wenn Gott allzu fern zu sein scheint. Sie macht deutlich, dass wir mit all unseren Klagen und unserem Zorn zu Gott kommen können. Er hält das aus. Hauptsache wir wenden uns nicht ganz von ihm ab.

    Das Interessante: Hiob hadert mit Gott, ringt um Antworten und ist alles andere als demütig und duldsam. Und Gott nimmt ihm das nicht übel. Im Gegenteil. Er lobt Hiob, weil er nicht aufgegeben hat. Ganz anders Hiobs Freunde. Sie versuchen sich mit ihren begrenzten menschlichen Mitteln eine Begründung zu überlegen, warum Hiob so leiden muss. Sie suchen vorschnell nach Sinn hinter seinem Leid. Sie glauben Hiobs Schicksal erklären zu können. Damit aber nehmen sie zum einen Hiobs Leid nicht ernst und reduzieren zum anderen Gottes Souveränität auf menschliche Maßstäbe. Das ist viel schlimmer als Hiobs Klage!

    Dennoch ist es wichtig in der Verzweiflung der Krise nicht stecken zu bleiben! Denn ursprünglich meint das Wort Krise (von griech. krisis) Entscheidung beziehungsweise entscheidende Wendung. Zunächst ist jede Krise ein Bruch in der Normalität und Kontinuität des Lebensverlaufs. Ob aus diesem Bruch ein Zusammenbruch oder ein Aufbruch wird, hängt von der Einstellung und damit der Entscheidung des Betroffenen ab. Denn den Inhalt der Krise können wir uns nicht aussuchen. Was wir aber daraus für die Gestaltung unseres Lebens entnehmen, welchen Sinn wir darin sehen, das ist unsere Sache und unsere Chance.

    Krisenbewältigung beginnt also mit der Bereitschaft, sich schrittweise von der lähmenden Wirkung der Krise zu lösen und sich auf die Krisenfolgen zu konzentrieren. Denn solange eine Krise als sinnlos erlebt wird, beherrscht uns die Verzweiflung und schlimmstenfalls geben wir sogar ganz das Leben auf. Gelingt es uns dagegen, uns im Leid nicht mehr die Frage nach dem „Warum“, sondern nach dem „Wozu“ zu stellen, so verwandelt sich die Krise in eine Aufgabe. Es kommt zu einem Lernprozess und zur Entwicklung. Dann können wir das Krisenereignis rückblickend als Auslöser für einen Neuanfang werten. Mit einem einfachen Gebet kann sogar Gott in diesen Prozess einbezogen werden. Zum Beispiel: „Gott, hilf du mir zu erkennen, wozu das alles dient – damit ich nicht mehr nach dem Warum fragen muss.“

    Viktor Frankl spricht vom „Leiden als Leistung“ und meint damit, dass es auf die Haltung beziehungsweise Einstellung ankommt, die der Mensch seinem Leid gegenüber einnimmt. Diese Fähigkeit bekommt der Mensch nicht in die Wiege gelegt, sondern muss sie sich im Laufe seines Lebens erst erwerben. „Erst unter den Hammerschlägen des Schicksals, in der Weißglut des Leidens an ihm, gewinnt das Leben Form und Gestalt. Das Schicksal, das ein Mensch erleidet, hat also erstens den Sinn, gestaltet zu werden – wo möglich –, und zweitens, getragen zu werden – wenn nötig.“

    Andererseits macht Viktor Frankl unmissverständlich deutlich: Erst wenn der Mensch keine Möglichkeit mehr hat, einen leidvollen Tatbestand zu verändern, erst dann hat es einen Sinn, sein „Kreuz auf sich zu nehmen“. Unnötiges Leiden auszuhalten wäre nämlich keine Leistung, sondern Mutwille.

    Schicksalhaft notwendiges Leiden hat nach Viktor Frankl dagegen eine mehrfache Bedeutung für den Menschen, der es in aufrechter Weise erträgt. Leiden ist nach ihm Leistung, die zu Wachstum und Reifung führt und schließlich zur Bereicherung werden kann. Den Sinn eines Leids aber muss immer der Betroffene selbst entdecken, er darf nie von außen aufgedrängt werden.

    Zum Abschluss dieser Einheit möchte ich dazu noch ein Beispiel schildern. Lassen Sie es einfach auf sich wirken.

    Gabriele – so nenne ich sie hier – ist seit ihrer Geburt schwer mehrfachbehindert. Sie kann weder sitzen noch sich alleine bewegen, ja nicht einmal mit dem Kopf nicken oder diesen schütteln. Sie wird über eine Magensonde künstlich ernährt, weil ihr Schluckreflex nicht funktioniert und trägt Windeln. Das alles erlebt sie bei vollem Verstand mit, denn ihr Intellekt ist wach! Verständigen kann sie sich nur, indem sie mit den Augen zwinkert. Einmal zwinkern ja, zweimal nein. Nach demselben System buchstabiert sie auf einer Alphabet-Tafel, die man ihr vors Gesicht hält. Man fährt mit dem Finger die Reihen und Spalten auf der Tafel entlang und an der richtigen Stelle zwinkert sie.

    Wenn Gabriele eine CD hören möchte, fixiert sie so lange ihre Stereoanlage, bis es auch der langsamste Gesprächspartner begriffen hat. Die Wahl des Musikstücks erfolgt dann wieder nach dem altbewährten Prinzip von Frage und Antwort beziehungsweise deuten und zwinkern. Auf meine Frage „Sag mal, fällt es dir nicht manchmal schwer, dass du so gar nichts alleine machen kannst?“ buchstabierte sie mir vor langer Zeit mühsam, aber deutlich „Wieso gar nichts? Ich kann doch immer noch hören und sehen.“

    Gabriele versteht es, die Schönheit der Welt um sie herum zu erkennen und zu genießen. Sie jauchzt vor Freude, wenn ich ihr mein Meerschweinchen auf den Schoß setze oder wenn einer meiner Hunde ihr die Hände leckt. Ein simpler Spaziergang zaubert ein Strahlen auf ihr Gesicht. Weil sie die Seiten eines Buches nicht selbst umblättern kann, bittet Gabriele oft darum, vorgelesen zu bekommen. Gezielt fragt sie dann gerade Menschen, von denen sie spürt, dass sie ein Problem mit sich herum tragen. Damit erreicht sie einerseits Ablenkung und vermittelt dem Vorleser auch das Gefühl, gebraucht zu werden.

    Aber Gabriele leistet noch mehr. Sie wählt Texte aus, die nicht SIE interessieren, sondern die zur Situation ihres Gegenübers passen. Selbst kann sie keine Trostworte sprechen, aber sie weiß genau, wo sie zu finden sind. Sie klagt nur selten darüber, dass sie schwerbehindert zur Welt kam und ist meist fröhlich und dankbar für alles, was das Leben ihr bietet. Damit ist sie eine Aufmunterung für ihre Umgebung, denn ihr herzliches Lachen ist so ansteckend, dass man eigene Kümmernisse schnell vergisst. Sie weiß um diese „Vorbildfunktion“ und nimmt sie als Lebensaufgabe ernst. Wenn sie also im eigentlichen Sinne auch keine schöpferischen Taten in die Welt setzen kann, so hinterlässt sie doch prägende Spuren in den Herzen anderer Menschen.

    Unsere Seele kann nicht nur Krankheiten sinnvoll gestalten, ihr kann nicht einmal der Tod als größte Tragik des Lebens etwas anhaben. Warum das so ist, werden wir in der nächsten Einheit sehen.

    Gedanken aus der Bibel:

    Die folgenden beiden Aussagen zeigen Hiobs Verzweiflung und zugleich sein unbedingtes Festhalten an Gott in seiner tiefsten Lebenskrise:

    Vor lauter Seufzen kann ich nichts mehr essen, meine Klagen strömen aus mir wie Wasser. Was ich immer gefürchtet habe, ist eingetreten; wovor ich entsetzt zurückschrak, ist mir zugestoßen. Ich hatte noch keinen Frieden, keine Rast, keine Ruhe, da brach schon der nächste Sturm los.

    (Hiob 3,24-26)

    Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben.

    (Hiob 19,25)

    Fragen zum Weiterdenken:

    • Gab es bereits Krisen in Ihrem Leben? Wie haben Sie sie bewältigt?
    • Haben Sie schon einmal erlebt, dass Sie für ein vermeintliches Unglück im Nachhinein dankbar waren?
    • Offizieller Beitrag

    Die vollen Scheunen der Vergangenheit

    Der Tod ist für uns Menschen oft absolut sinnlos, denn schließlich raubt er uns scheinbar jede sinnvolle Entscheidungs- oder Handlungsmöglichkeit. Viktor Frankl stellt fest, dass der Tod und die Vergänglichkeit von den meisten Menschen missverstanden werden, und sagt:

    „Er [der Mensch] sieht nur das Stoppelfeld der Vergänglichkeit – aber er sieht nicht die vollen Scheunen der Vergangenheit. Er will, dass die Zeit stillstehe, auf dass nicht alles vergänglich sei; aber er gleicht darin einem Manne, der da wollte, dass eine Mäh- und Dreschmaschine stille steht und am Platz arbeitet, und nicht im Fahren; denn während die Maschine übers Feld rollt, sieht er – mit Schaudern – immer nur das sich vergrößernde Stoppelfeld, aber nicht die gleichzeitig sich mehrende Menge des Korns im Innern der Maschine. So ist der Mensch geneigt, an den vergangenen Dingen nur zu sehen, dass sie nicht mehr da sind; aber er sieht nicht, in welche Speicher sie gekommen. Er sagt dann, sie sind vergangen, weil sie vergänglich sind – aber er sollte sagen: vergangen sind sie; denn: »einmal« gezeitigt, sind sie »für immer« verewigt.“

    Viktor Frankl richtet hier den Blick weg vom bedrohlichen „Sensenmann“, der die Ähren vom Erntefeld unseres Lebens hinwegmäht, hin zur bewahrenden Scheune, in der das eingefahrene Korn unseres Lebens beschützt und behütet ruht. Selbst wenn sämtliche Spuren von uns im Sand der Geschichte verweht werden und niemand sich mehr an unser Leben erinnert, wird doch wahr bleiben, was wahr gewesen ist. Was wirklich sinnvoll war, wird immer sinnvoll bleiben.

    Eine Ehe, die 30 Jahre lang gehalten hat, ruht in der Scheune der Vergangenheit zweier Menschen. Selbst wenn beide schon tot sind, wird sie immer noch eine 30-jährige Ehe gewesen sein und nicht nur eine dreijährige. Und wenn sie gut war, wird sie immer noch eine gute Ehe gewesen sein und keine schlechte. Der Tod kann kein Jahr von ihr abschneiden, ebenso wenig kann er ihre Qualität mindern. Angesichts der ewigen Wahrheit ist der scheinbar mächtige Tod ohnmächtig.

    Was bedeutet diese Erkenntnis nun für die Zeit, die noch vor Ihnen liegt? Was bedeutet sie für Ihr Suchen nach einem sinnvollen Leben? Lassen Sie sich von der Endlichkeit Ihres Lebens nicht irritieren! Was Sie mühevoll leisten, was Sie täglich an Einsatz für eine sinnvolle Sache aufbringen oder in eine wertvolle Beziehung investieren, ist nicht umsonst, sondern Korn für Ihre persönliche Lebensscheune. Ihre vergangenen Glücksmomente sind auch nicht ein für alle Mal vorbei, sondern die Perlen Ihrer Lebensernte. Bringen Sie beständig ein, was Sie noch vom Feld holen können: ein Stück Liebe, ein Stück Arbeit oder ein Stück aufrichtiges Mitleiden, je nachdem. Was Sie in diese Scheune Sinnvolles über und für sich selbst gesammelt haben, das fällt dort nicht mehr heraus, das gehört für immer Ihnen.

    Nun kann man dem zu Recht entgegen halten, dass in der Vergangenheit ja auch alle negativen und leidvollen Ereignisse unauslöschlich aufbewahrt und damit nicht mehr korrigierbar sind. Elisabeth Lukas formuliert dazu ein wunderschönes Gleichnis, entnommen aus ihrem Buch „Kleines 1×1 der Seelenheilkunde“, S. 169f:

    Angenommen, jemand habe eine Schale mit 7 schwarzen und 4 weißen Steinen. Die Schale sei seine Lebensvergangenheit. Die Steine seien unveränderliche Geschehnisse darin: die schwarzen Steine negative, die weißen Steine positive. Die Wahrheit kann nicht revidiert werden. Was schwarz war, war schwarz, und was weiß war, war weiß.

    Aber das Verhältnis von schwarz zu weiß kann immer noch revidiert werden! Wie? Nun, es steht 7:4. Fügt der Betreffende in seinem gegenwärtigen Moment einen weißen Stein hinzu, wandelt sich das Verhältnis von schwarz zu weiß auf 7:5. Fügt der Betreffende im nächsten gegenwärtigen Moment wieder einen weißen Stein hinzu, wandelt sich das Verhältnis von schwarz zu weiß auf 7:6, und so fort. Es kann auf 7:100, ja, auf 7:1000 hoch ge-»weißelt« werden! Und mit einer Vergangenheit, die 7 negative Geschehnisse und 1000 positive enthält, lässt sich leben!

    Das ist das Wunder des gegenwärtigen Moments. Soll es vergeudet werden für Klagen über Gewesenes? (Noch ein schwarzer Stein dazu?) Für Zittern vor Werdendem? (Noch ein schwarzer Stein dazu?) Es wäre unendlich schade. Wohlan, holen wir einen weißen Stein aus dem Sortiment unserer Möglichkeiten und rollen wir ihn in die Wirklichkeit hinein! Die Kindheit war schlecht? Rollen wir die mutige Selbsterziehung dazu. Der Freund hat uns betrogen? Rollen wir die barmherzige Verzeihung dazu. Die Krankheit verkürzt unsere Lebenserwartung? Rollen wir ein sorgfältiges und kreatives Gestalten unserer Spielräume dazu. Die Schale füllt sich … womit, ist ein einziges Mal unser: jetzt! Und bedenken wir: sie wird mitsamt ihrem Inhalt für alle Zeiten unsere Schale bleiben. Eine zweite, leere, bekommen wir nicht mehr zum Füllen.

    Natürlich gibt es leidvolle Situationen im Leben, in denen beim besten Willen kein Sinn mehr erkennbar ist. Dennoch muss das nicht heißen, dass es diesen Sinn nicht gibt. Wie wir darauf vertrauen können, auch wenn wir an die Grenzen unseres eigenen Erfassungsvermögens stoßen, wird das Thema unserer letzten Einheit sein.

    Gedanken aus der Bibel:

    Leid, Tod und Angst werden in der Bibel nicht klein- oder schöngeredet. Gleichzeitig werden wir Menschen dazu ermutigt darauf zu vertrauen, dass Gott größer ist und diese Welt und unser Leben in seiner Hand hält. Selbst der Tod ist für ihn kein unüberwindbares Hindernis:

    Jesus Christus spricht: „Das habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“

    (Johannes 16,33)

    Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?

    (1. Korinther 15,55)

    Fragen zum Weiterdenken:

    • Welche weißen Steine in Ihrer Lebensschale leuchten besonders hell? Machen Sie sie sich ruhig wieder einmal bewusst, dann ist es leichter, sie zu vermehren.
    • Gibt es schwarze Steine, die Sie lieber verstecken würden? Was haben Sie aus diesen dunklen Momenten gelernt? Jede Einsicht daraus ist schon wieder ein neuer weißer Stein! Würde Gott das genauso sehen wie Sie?
    • Offizieller Beitrag

    Glauben heißt Vertrauen

    Der Glaube an beziehungsweise das Vertrauen in die bedingungslose Sinnhaftigkeit des Lebens und damit auch auf Gott als den Schöpfer und Lenker dieses Lebens gehört für mich untrennbar zusammen. Viktor Frankl ging es ähnlich. Zwar hatte er keine persönliche Beziehung zu Jesus Christus, aber er war als Jude geprägt von einem persönlichen Glauben an den Gott des Alten Testaments und bezeugt diesen auch in seinen Büchern.

    Er schreibt zum Beispiel: „Der Glaube darf nicht starr sein – er soll fest sein. Starrer Glaube macht fanatisch – fester Glaube tolerant. Wer nicht fest in seinem Glauben steht, klammert sich mit beiden Händen am starren Dogma an; wer hingegen fest im Glauben steht, hat die Hände frei – und reicht sie den andern, mit denen er in existentieller Kommunikation steht.“

    Echter Glaube gibt Sinndeutung. Dieser Glaube lässt sich nicht manipulieren oder erzwingen, sondern braucht immer einen „glaubwürdigen“ Grund und Inhalt, an den es sich zu glauben lohnt. Man kann ebenso wenig glauben „wollen“ wie man auf Befehl lachen kann – für einen echten Heiterkeitsausbruch muss man einen Grund zum Lachen haben.

    Das für wahr Halten von konfessionellen Regeln ist immerhin ein Glaube, der dazu führt, dass Menschen sich zusammen finden, die an die Existenz Gottes glauben. Ihre Sicht der Welt, des Menschen und ihre Auffassung von Gut und Böse decken sich; sie bilden eine Gemeinschaft. Dieser Glaube ist gut, aber er ist nicht genug. Denn erst die bewusste Entscheidung, das persönliche Bekenntnis zu Gott als dem Ursprung der eigenen Existenz ist echter und gelebter Glaube, der auch in Krisensituationen nicht schwindet, sondern Halt gibt. Ein solches Bekenntnis erwächst aus innerer Stärke und macht den Gläubigen noch stärker. Es öffnet den Blick auf den Sinn des Lebens und motiviert zum Annehmen der Realität. Es ist der mutige Schritt in die Selbstverantwortung und das Ausharren darin.

    Dieser Glaube ist absolut bedingungslos, denn Gott lässt nicht mit sich handeln. Als sehr eindringliches Beispiel hierzu führt Viktor Frankl den Massenmord im Holocaust an, den er selbst nur knapp überlebte, und stellt fest: „Ich bestreite aufs Entschiedenste, dass es möglich ist, sich auf ein Handeln einzulassen, zu sagen: lieber Gott, pass einmal auf, bis 526.000 ins Gas gegangener Juden behalte ich meinen Glauben an dich, aber nicht einen einzigen mehr lasse ich zu. Dass du 5 oder 6 Millionen hast umkommen lassen – daraufhin ziehe ich meinen Glauben an dich zurück. Handeln kann man nicht. Und siehe da, der Glaube, der wirkliche Glaube, besteht auch dann noch fort.“

    Mit einem solch unerschütterlichen Glauben gibt es letztlich nichts Sinnloses. Dann ist nichts vergebens. Viktor Frankl geht ebenso wie ich persönlich davon aus, dass individuelle Sinnfindung für den Menschen in jeder Situation möglich ist, mag sie vordergründig auch noch so sinnlos erscheinen. Denn, so Viktor Frankl: „Das ist nämlich das Geheimnis der bedingungslosen Sinnträchtigkeit des Lebens: dass der Mensch gerade in Grenzsituationen seines Daseins aufgerufen ist, gleichsam Zeugnis abzulegen davon, wessen er und er allein fähig ist. So hört denn das Leben buchstäblich bis zu seinem letzten Augenblick, bis zu unserem letzten Atemzug, nicht auf, Sinn zu haben.“

    Angesichts dieser bedingungslosen Sinnhaftigkeit des Lebens an sich muss es nach Frankl einen „Sinn des Ganzen“ geben, von dem der individuelle Sinn ableitbar ist. Dieser Gesamtsinn des Lebens übersteigt das menschliche Erkenntnisvermögen. Er lässt sich daher nicht beweisen, sondern muss geglaubt werden.

    Viktor Frankl schreibt dazu: „Je umfassender der Sinn ist, umso weniger fasslich ist er. Wo es gar um den letzten Sinn geht, entzieht er sich zumindest einem bloß intellektuellen Zugriff vollends. Was un-wiss-bar ist, braucht aber nicht un-glaub-lich zu sein. Angesichts der Frage, ob alles einen, wenn auch verborgenen Sinn hat oder aber die Welt ein einziger großer Unsinn ist, muss das Wissen das Feld räumen – es ist der Glaube, der da zu einer Entscheidung aufgerufen ist.“

    Wenn wir also in einem tragischen Ereignis nur schwer einen Sinn entdecken können, dann dürfen wir auch bitterlich klagen. Doch trotz aller Verzweiflung sollten wir uns davor hüten, aus einer Situation, deren Sinn sich uns nicht erschließt, auf eine absolute Sinnlosigkeit des Lebens und der Schöpfung zu schließen.

    Die folgende kleine Geschichte frei nach Novalis mag das verdeutlichen: „Stell dir vor, du bist eine Schnecke auf einer schönen glatten Straße, du kriechst vor dich hin, alles ist wunderbar! Was du aber aufgrund deiner eingeschränkten Sicht nicht sehen kannst, ist, dass du in Lebensgefahr bist. Du siehst die Autos nicht, die an dir vorübersausen! Da kommt eine Hand und setzt dich auf den Seitenstreifen … er ist steinig und unbequem, die Hand allein schon tut dir weh und du wehrst dich. Du willst nicht, der Seitenstreifen tut dir weh … aber … diese Hand, die dir (scheinbar) so viel Unbehagen bereitet, rettet dir dadurch das Leben.“

    Auch wir Menschen werden wohl erst am Ende unseres Lebens vollständig begreifen, was der Sinn unseres Daseins war und wovor Gott uns so manches Mal bewahrt hat, denn:

    Gedanken aus der Bibel:

    So wie diese Schnecke werden auch wir Menschen wohl erst am Ende unseres Lebens vollständig begreifen, was der Sinn unseres Daseins war und wovor Gott uns so manches Mal bewahrt hat. Solange wir leben, wird sein Handeln für uns manchmal unverständlich bleiben. In solchen Situationen kommt der Glaube ins Spiel. Er hält sich daran fest, dass Gott größer ist als unser Denken und unser Möglichkeiten. Und er setzt darauf, dass alles trotz allem einen Sinn ergibt:

    „Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.“

    (Jesaja 55,8-9)

    Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.

    (Hebräer 11,1)

    Fragen zum Weiterdenken:

    • Wie sieht Ihr eigener Glaube aus? Gibt es Zweifel, Unsicherheiten oder Ängste in Ihrer Beziehung zu Gott? Sich das einzugestehen ist keine Schande, dieses Gefühl kennt wohl jeder Christ. Auch Gott hat Verständnis dafür und Sie können ihm ruhig im Gebet davon erzählen.
    • Haben Sie schon erlebt, wie das Vertrauen zu Gott und Jesus in scheinbar ausweglosen Situationen Trost und Hoffnung gibt?